Kultur

Wie man eine Grande Dame wird

Annett Louisan kommt mit ihrem neuen Album "Babyblue", das diese Woche erscheint, im April in den Circus Krone


Die Musikerin Annett Louisan erhält den Paul-Lincke-Ring der Stadt Goslar für das Jahr 2023.

Die Musikerin Annett Louisan erhält den Paul-Lincke-Ring der Stadt Goslar für das Jahr 2023.

Von Dagmar Leischow

Eine Erkältung hat Annett Louisan gepackt. Ihre Tochter war vor ein paar Tagen krank, nun schnieft die Sängerin. Das Interview im Hotel The George nahe der Außenalster hat sie trotzdem nicht abgesagt. In der Bibliothek sitzt sie in einem massiven Ledersessel. Sie trägt einen schwarzen Pullover mit der Aufschrift "Rock'n'Roll", dabei geht die 45-Jährige mit ihrem neuen Album "Babyblue" in eine völlig andere Richtung.

Sie hat sich musikalisch dem französischen Chanson angenähert, natürlich mit deutschen Texten. In diesem Genre, grübelt sie, gebe es seit Hildegard Knef hierzulande eine Lücke: "Die wollte ich nun mit zeitlosen Songs schließen, die eine Hommage an die Sechziger- und Siebzigerjahre sind."

Inhaltlich kreist Annett Louisan um die Liebe, das Leben, den Tod, den Glauben und vor allem um das Älterwerden. Die melancholische Single "Die mittleren Jahre" ist das zentrale Stück ihrer Platte. Sätze wie "Früher sind Menschen nur 40 geworden und sparten sich so die Therapie" gehen unter die Haut.

Die Wahlhamburgerin, die als Annett Päge in Havelberg in Sachsen-Anhalt geboren wurde, unterzieht sich zwar keinen regelmäßigen Therapiesitzungen, hat aber in den vergangenen Jahren einige Coachings gemacht, um sich selber etwas besser kennenzulernen. Vor allem ein Persönlichkeitstest bescherte ihr manchen Aha-Moment: "Ich habe erkannt, wer ich wirklich bin und warum ich bestimmte Bedürfnisse habe. Das ist ein großes Geschenk."

Zudem ließ sie diese Erkenntnis toleranter werden: "Es gibt Menschen, denen Struktur unheimlich wichtig ist. Ihr Leben muss in den kommenden zwei Wochen durchgeplant sein, sonst fühlen sie sich nicht wohl. Obwohl mir das ein Graus ist, habe ich nun Verständnis für diejenigen, die das brauchen. Ich muss mich nicht mehr darüber lustig machen."

Das klingt so, als hätte Annett Louisan die Midlife-Krise umschifft. Sie widerspricht: "Ich habe mit mir gehadert. Aber die Auseinandersetzung mit dem Älterwerden hilft mir, die Midlife-Krise zu überwinden." Die Musikerin hat viel über dieses Thema gelesen, auch ein Interview mit David Bowie. Er habe die Vierziger als einen Kampf beschrieben, erzählt sie. Doch als er das Älterwerden dann endlich akzeptiert habe, sei er ein Grandseigneur geworden: "Auch ich merke gerade, dass ich es zusehends liebe, einfach eine ältere Frau zu sein. So etwas kann man nicht erzwingen, das muss von innen kommen."

Nicht umsonst spielt Annett Louisan in "Die mittleren Jahre" auf den Udo-Jürgens-Klassiker "Mit 66 Jahren" an: "Ich arbeite daraufhin, in den Sechzigern noch rüstig zu sein und immer noch irgendwelche ersten Male zu suchen." Trotzdem ist Annett Louisan der Meinung, dass man seine Zeit nicht verplempern sollte: "Das Leben ist keine Generalprobe. Darum nehme ich mir jeden Tag vor, das Jetzt zu genießen, statt über die Zukunft oder die Vergangenheit zu grübeln."

Dank dieser Philosophie hat sich Annett Louisan auch als Künstlerin weiterentwickelt. Sie wünscht sich mehr Authentizität für ihre Lieder, mehr Wahrhaftigkeit. In den vergangenen Jahren habe sie sich häufig mit bildender Kunst befasst, sagt sie. An ihr wolle sie sich nun orientieren, nicht so sehr an den Erwartungen der Musikindustrie. Ob ein Stück im Radio gespielt wird oder nicht, ist für sie nicht länger ausschlaggebend: "Zu Beginn meiner Karriere wollte ich gemocht werden. Heute suche ich meine Freiheit. Ich möchte die Musik machen, die mich selbst abholt."

Um diesem Anspruch gerecht zu werden, wagt Annett Louisan mit dem Lied "Hallo Julia" eine kleine (Wort-)Spielerei. Während sich der Songtitel an Leonard Cohens "Hallelujah" annähert, greift die Melodie im Refrain Rod Stewarts "Sailing" auf. Inhaltlich kreist das Stück um Glaube, um Religion. "Obwohl ich ein spiritueller Mensch bin und an eine höhere Instanz glaube, denke ich: Religionen bringen viel Unheil über diese Welt", erklärt Annett Louisan. Trotzdem setzt sie sich mit ihnen auseinander.

Mal liest sie in der Bibel, mal im Koran, beide Bücher findet sie spannend. Letztlich hält sie es aber mit Sokrates berühmten Ausspruch: "Ich weiß, dass ich nichts weiß." Annett Louisan kann nicht mit Gewissheit sagen, was das Leben und die Liebe bedeuten oder was nach dem Tod wirklich passiert: "Keiner sollte seine Wahrheit für allgemeingültig erklären. Denn wir haben alle unsere eigenen Bedürfnisse." Ihr Credo ist: "Ich versuche, an mich selbst zu glauben. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass einiges vorherbestimmt ist und jeder von uns einen anderen Auftrag hat."

Annett Louisan tritt Sonntag, den 28. April um 20 Uhr im Circus Krone in München auf