Kultur

Viele Ratten, noch mehr Mäuse

Der Street-Artist spielt die Hauptrolle in Bernhard Jaumanns Krimi "Banksy und der blinde Fleck"


Der Schriftsteller Bernhard Jaumann.

Der Schriftsteller Bernhard Jaumann.

Von Christa Sigg

Was für eine glückliche Fügung - an der Fassade einer Bogenhausener Villa lässt ein kleines Mädchen einen Ballon in Herzform steigen. Er muss wirklich in München sein, der große Banksy. Von der Balanstraße bis zum Nymphenburger Kanal tummeln sich bereits ein paar seiner typischen Ratten. Doch das "Girl with Balloon" ist der Knüller, und die Villenbesitzerin an der Ismaninger Straße wittert schon den Wahnsinn.

2018 hat die halb geschredderte Girl-Version "Love is in the Bin" bei Sotheby's 16 Millionen Pfund eingebracht, das sind etwa 19 Millionen Euro. Kaum auszudenken, wenn in München nur ein bissl was geht! Aber dann muss das Stencil, so nennt man die Schablonenbilder, echt sein. Das lässt die über Nacht mit einem "Banksy" bescherte Frau Zimmermann von professionellen Kunstermittlern auskundschaften - so behält sie bei jedem Ergebnis die Karten in der Hand.

Banksys Bild "Flower Thrower im Strassenkampf um Frieden", gezeigt in einer Ausstellung in Mülheim.

Banksys Bild "Flower Thrower im Strassenkampf um Frieden", gezeigt in einer Ausstellung in Mülheim.

Nach der Aufspüraktion um Franz Marcs im Zweiten Weltkrieg verschollenen "Turm der blauen Pferde" und einem zerstörten Gemälde von Caravaggio ("Caravaggios Schatten") schickt Krimiautor Bernhard Jaumann seine bewährte Detektei von Schleewitz im dritten Fall "Banksy und der blinde Fleck" auf die Straße und in zwielichtige Hinterhöfe.

Die Vorstellung, dass dieser Fantomas der Streetart ausgerechnet in der Landeshauptstadt seine altbekannten Werke verbreitet und dazu ohne jeden ortsbezogen-kritischen Dreh, ist ziemlich absurd. Wo der Mann mit der Spraydose ansetzt, gibt es ein aktuelles Problem, einen Missstand, eine Schieflage, die seinen geistreich-bissigen Spott herausfordert. Das reicht vom mehrteiligen Kreuzfahrtschiff-Gemälde "Venice in Oil" vor den Toren der Venedig-Biennale bis zum Esel, der im Westjordanland in eine Passkontrolle gerät.

Doch genau diese unrealistische Komponente macht aus dem Krimi auch eine Gesellschaftssatire. Obwohl man sich natürlich an den Kopf fasst, entwickelt sich ein regelrechter Banksy-Hype. Befördert von der schlagzeilengierigen Lokalchefin des "Münchner Anzeigers" und vor allem von einer Kunst- und Sammlerszene, die aus den - blutenden - Ratten sehr, sehr viele Mäuse machen will.

Jeder versucht, irgendwie zu profitieren. Selbst der grattlige Antiquitäten- und Bildertandler Toni von der Au wird vom Banksy-Fieber angesteckt und schwatzt einem Dönerbudenbesitzer die Tür ab. Die ziert neuerdings der vermummte "Flower Thrower". Imbiss-Mann Ali Baba ist er einzige, der cool bleibt; der Preis, den das schrapplige Stück bei einer gespenstischen Auktion erzielt, ist dann tatsächlich heiß.

Bernhard Jaumann hat wieder bis ins kleinste Detail recherchiert. Wer München kennt, hat die Orte sofort vor Augen. Aber auch das Geflecht aus Kunstspekulanten und Urban-Art-Protagonisten ist gut getroffen. Dass zwischen die Verantwortlichen im Kulturreferat und die Streetartisten "nicht die kleinste Spraydose passt", gehört ebenso zu den hiesigen Spezialitäten. München hat vor fast zehn Jahren einen Graffiti-Beauftragten berufen. Den ersten in Deutschland. Der durfte dann "legale" Arbeitsflächen zuweisen, warf aber schnell das Handtuch.

Sollte Banksy, dessen wahrscheinlichste Identität kriminalistisch überzeugend hergeleitet wird, je ein Austragsstüberl suchen, würde er an der Isar fündig.

Bernhard Jaumann: "Banksy und der blinde Fleck" (Galiani Verlag, 320 Seiten, 17 Euro). Die Lesung am 25. April um 19.30 Uhr in der Buchhandlung Buch & Bohne, Kapuzinerplatz 4, ausverkauft