AZ-Filmkritik
"Verschwörung": Zur Weltenretterin verkommen
22. November 2018, 12:22 Uhr aktualisiert am 22. November 2018, 12:22 Uhr
Claire Foy spielt erstmals Lisbeth Salander. Doch die hat in "Verschwörung" all ihre Besonderheit verloren. Die AZ-Filmkritik.
Die Millennium-Trilogie von Stieg Larsson entwickelte sich vor allem aufgrund ihrer Heldin zu einem internationalen Bestseller-Phänomen: Lisbeth Salander war eine düstere, schillernde Frauenfigur, wie man sie im Thriller-Genre so noch nicht angetroffen hatte.
Von traumatischen sexuellen Gewalterfahrungen geprägt ist sie als Symbolfigur weiblicher Selbstbehauptung gezeichnet, die sich gegen die korrupten, patriarchalen Strukturen stellt. Ihr Wesen existiert zwischen den kategorisierenden Zuschreibungen von weiblich und männlich, Täter und Opfer, Fragilität und Stärke. Aus dieser Unklassifizierbarkeit entsteht die Faszination für die wortkarge Heldin, die Noomi Rapace in den schwedischen Verfilmungen mit nachhaltiger Präsenz auf die Leinwand brachte.
Die Fortsetzung zu David Finchers Interpretation
Eigentlich hätte es hier keinerlei cineastischer Hinzufügung bedurft, aber natürlich hatte auch Hollywood schon ein Auge auf den lukrativen Bestseller-Stoff geworfen. David Fincher präsentierte 2011 mit Rooney Mara als Lisbeth ein solides Remake. Sieben Jahre später reiht sich nun Claire Foy ("The Crown") in die Riege der Lisbeth-Salander-Darstellerinnen ein.
Als Vorlage dient der Nachfolgeroman "Verschwörung", der 2015 von David Lagercrantz nach Larssons Tod verfasst wurde. Die Geschichte taucht tiefer in die Kindheit Lisbeths ein, die als Mädchen vor den sexuellen Zudringlichkeiten des Vaters flieht und ihre jüngere Schwester zurücklässt. Über zwanzig Jahre später ist Lisbeth zur feministischen Gerechtigkeitskämpferin geworden, die gewalttätige Ehemänner mit effizienter Überlegenheit zur Rechenschaft zieht. Aber das ist nur ihre Freizeitbeschäftigung.
Ein Programm, das alle Atomraketencodes knackt
Im Hauptberuf ist Lisbeth immer noch eine hochbegabte Hackerin und wird von einem Wissenschaftler beauftragt, der für die NSA ein Programm entwickelt hat, das die Codes zu allen Atomraketen knacken kann. Nun will er seine weltgefährdende Forschungsarbeit zurück, um sie zu vernichten.
Lisbeth gelingt es, das Programm herunterzuladen. Prompt sind der schwedische Geheimdienst, ein gekränkter NSA-Agent und eine Geheimorganisation hinter ihr her, die in direktem Kontakt zu ihrer familiären Vergangenheit steht.
Die Motivation Lisbeth Salanders verflacht klischeehaft
In "Verschwörung" mutiert Lisbeth von einer Heldin, die sich nur von ihrem eigenen moralischen Kompass leiten lässt, zu einer schnöden Weltenretterin, die - wie viele vor ihr - die Menschheit vor ihrem Untergang bewahrt. Diese klischeehafte Verflachung der Motivation passt dazu, dass Regisseur Fede Alvarez die Angelegenheit vornehmlich als Action-Noir-Thriller in Szene setzt.
Auf einem schwarzen Motorrad rast Lisbeth wie einst Batman durch die dunkle Nacht, und Stockholm, das hier kunstvoll aus Berliner Locations zusammengepuzzelt wird, sieht auch ein wenig aus wie Gotham City.
Claire Foy hat keine Chance die Rolle zu retten
Das ist in seiner stilistischen Stringenz durchaus chic anzusehen. Aber dieser Film gehört nun einmal zum Stieg-Larsson-Universum und weiß mit diesen Ressourcen viel zu wenig anzufangen. Eine Figur wie Salander hat in einem solchen 08/15-Plot nichts verloren, was auch nicht dadurch aufgewogen wird, dass im finalen Bösewichtmonolog vorhersehbare, verwandtschaftliche Schuldgefühle mitverhandelt werden.
Claire Foy tut ihr Bestes, um die Figur vor dem Klischee der schwarzledernen Action-Amazone zu retten. Aber der Spionageplot gibt ihr zu wenig Raum, um ihrer Heldin die notwendige Seelentiefe zu verleihen.
Kinos: Münchner Freiheit, Cinemaxx, Gloria, Mathäser (auch OV), Cinema, Museum-Lichtspiele (beide OV), R: Fede Alvarez (GB/D/USA/S, 116 Min.)