Kultur
Ohne Mittelscheitel
12. Mai 2023, 17:41 Uhr
Bloß keinen bevorzugen. Das ist typisch für den Herzog, aus dem sicher auch ein famoser Pädagoge geworden wäre. Als sein Blick dann aber auf drei farbstarke Quadrate fällt, leuchten die Augen noch ein bisschen mehr, als das an diesem Abend eh schon der Fall ist (siehe auch Leute, Seite 36). In der Pinakothek der Moderne beginnen exakt zwei Monate vor seinem 90. Geburtstag am 14. Juli die ersten Feierlichkeiten - und Blinky Palermos Triptychon aus dem Jahr 1972 ist dazu die überdimensionale Grußkarte.
Sie tut sofort Wirkung, sendet ihre Streifen-Signale von weitem und ist zugleich der Auftakt einer ziemlich wilden Schau. Diese etwas andere Retrospektive gibt Einblicke in sechs Jahrzehnte passionierten Sammelns mit einer klaren Positionierung für die zeitgenössische Kunst.
Ohne Herzog Franz von Bayern würde es auch die Pinakothek der Moderne nicht geben. Er hört das nicht so gerne, verweist - ganz Teamplayer - auf das Engagement des Galerie-Vereins, der 2002 in PIN überging. Aber es braucht dafür immer Anstifter, Fürsprecher, die weit nach vorn denken, und Persönlichkeiten, die ihr gesellschaftliches Gewicht einbringen, die Menschen vernetzen und zusammenführen.
Das zeigt sich jetzt auch in der Ausstellung, die stellenweise wie ein Rendezvous alter Freunde daherkommt. Joseph Beuys ist ein wesentlicher Ausgangspunkt, der knapp 30-jährige Prinz (Herzog wird er erst nach dem Tod des Vaters von 1996 an genannt) hat 1962 bereits die ersten Zeichnungen bei Heiner Friedrich und Franz Dahlem erworben. Und sich mühsam angenähert. Das gibt er ganz unumwunden zu.
Und um diesen Fixstern der Düsseldorfer Kunstszene kreisen dann die Schüler - Jörg Immendorff, Norbert Tadeusz, Blinky Palermo natürlich - und genauso Kollegen wie Sigmar Polke, Konkurrenten, Nachfolger. Und irgendwann auch ein paar Künstlerinnen wie Katharina von Werz oder Maria Zerres, die mit ihrem rahmensprengenden Pop zwischen Maria Lassnig und Christa Dichgans kraftvoll frech in die Herrenrunde funkt. Man darf dieses Ungleichgewicht nicht überbewerten, im Museum war das bekanntlich nicht anders. Und der Herzog hat nachgelegt, gerade bei den Jüngeren wie der Münchnerin Hedwig Eberle.
Es ist sowieso ein schönes Tête-à-tête der global gefragten Blue-Chip-Maler wie Gerhard Richter oder Georg Baselitz - mit dem "Mann am Baum" ist das erste Kopfüber-Bild vertreten - und den Hiesigen wie Erwin Pfrang, die in guter Wittelsbacher Tradition eine adäquate Rolle in dieser Kollektion spielen. Wenn nun kleinformatig Farb-Alutafeln von Palermo und eine ebenso winzige abstrakte Arbeit des völlig unterschätzten, leidenschaftlichen Akademieprofessors Heinz Butz aufeinandertreffen, dann ist das eine Begegnung auf Augenhöhe und mit einigem Charme.
Es geht tatsächlich drunter und drüber. Und wenn es in dieser heterogenen Mischung einen roten Faden gibt, dann ist der rau, ja widerborstig und würde nicht gut auf der Haut liegen. Dafür aber Gedanken anstoßen. Gefälliges hat den Herzog nie gereizt, deshalb spricht er von "ungekämmten Bildern", wie es im Titel dieser Hommage heißt. Man könnte auch sagen: Kunst ohne (Mittel)Scheitel. Besonders eindrucksvoll demonstriert das Blinky Palermo, der im Juni 80 würde. Dieses mit nur 33 Jahren unter ungeklärten Umständen verstorbene Supertalent hat sich zwischen einfachen Farbfeldern und Konzeptuellem, konstruktivistischen Elementen und teils witzigen Anspielungen - auf Mondrian etwa - so vielseitig geäußert, dass man sich mit jeder (Ein-)Ordnung schwertut.
Dem Herzog ging es nicht anders. Schon die Platzierung in der damaligen Wohnung an der Schackstraße wurde zur Herausforderung, deshalb fragte er Palermo, ob der nicht seine Werke hängen könne. Palermo ließ sich nicht zweimal bitten, nahm die völlig konträre Empire-Einrichtung wie "einen Schluck Wasser" und legte los. Eine endlos ausgetüftelte Positionierung gab es nicht mehr. Auch in der Pinakothek sind das die stärksten Kombinationen, wenngleich etwas eng in der Abfolge, wie überhaupt die Ausstellung überdicht geraten ist.
Aber das gibt auch einen Eindruck davon, wie sehr sich die Kunst dem Prinzen aufgedrängt hat. Und die späten 50er und 60er Jahre waren schließlich die Zeit des radikalen Aufbruchs, man konnte "dabei sein", das Neue mitentdecken. Erst Beuys, dann sah der junge Mann, der gerade ein Wirtschaftsstudium abgeschlossen hatte, 1962 seine erste documenta. Mark Rothko und Willem de Kooning stachen ihm ins Auge - und er wollte dringend nach New York. Um den Flug zu finanzieren, musste die Briefmarkensammlung dran glauben, dafür wurde Franz von Bayern mit unglaublichen Eindrücken, Ideen und Bekanntschaften belohnt.
Dass er mit Jasper Johns und Robert Rauschenberg um die Häuser zog, wusste er gar nicht. Erst als er bei Leo Castelli, dem großen Galeristen, Johns heute berühmte US-Flagge erstehen wollte, wurde ihm klar, dass die Freunde auf dem Kunstmarkt längst etabliert waren. Die 8000 Dollar, die die Flagge gekostet hätte, wollte die Münchner Hausbank jedenfalls nicht vorstrecken. Im Nachhinein ein Desaster.
Allerdings gab dieses Amerika einen unglaublichen Kick, immer wieder. Und die junge deutsche Kunst war noch zu haben. Davon profitiert nun die Pinakothek. Die Arbeiten Palermos, von denen eine Auswahl das Herz dieser Präsentation bildet, sind in einer Fülle und Qualität vorhanden wie sonst nirgends. Und wenn man in Betracht zieht, wie viel aus Schloss Nymphenburg nun Einzug in die Ausstellung gefunden hat, kommt man diesem "schlampigen Sammler", wie sich der Herzog gerne bezeichnet, ausgesprochen nahe.
"Ungekämmte Bilder" bis 3. Oktober in der Pinakothek der Moderne, Dienstag bis Sonntag 10 - 18, Donnerstag bis 20 Uhr