Münchner Kammerspiele
Matthias Lilienthal wäscht sich gerne und oft die Hände
7. Mai 2020, 15:05 Uhr aktualisiert am 7. Mai 2020, 15:05 Uhr
Die späte Liebe der Münchner zu Matthias Lilienthals Kammerspielen endet abrupt
Für seine letzte Spielzeit an den Münchner Kammerspielen hatte Intendant Matthias Lilienthal große Pläne. Uraufführungen, Premieren, und zum Abschluss das Mammutprojekt "Olympia 2666" nach dem Roman von Roberto Bolaño, eine 24-stündige Bustour von Besuchern und Schauspielern durch die Stadt. Doch wegen der Corona-Pandemie endete der Spielbetrieb abrupt Mitte März und ruht womöglich bis zum Herbst.
AZ: Herr Lilienthal, Ihr Start in München war von Protesten begleitet, Ihre Art des Theaters stieß auf Kritik, die Besucherzahlen gingen zurück. Doch mittlerweile haben die Münchner ihren Frieden mit den Kammerspielen geschlossen. Wie ist dieses abrupte Ende nun für Sie?
MATTHIAS LILIENTHAL: Anfang des Jahres war das Haus knallvoll mit 85 Prozent Platzausnutzung, man hatte so richtig das Gefühl, dass zwischen den Kammerspielen und der Stadt der Knoten geplatzt war. Dass das durch die Schließung des Theaters Mitte März unterbrochen wurde, das ist natürlich schade. Ich würde gerne ein Abschiedsfest machen, wo ich jeden Menschen in den Arm nehmen kann, das ist nicht möglich. Auf der anderen Seite freue ich mich sehr, dass die Stadt München und unser Team zu einer großen Liebesbeziehung gefunden haben. Diese Liebe kann jetzt unendlich sein, denn sie wird nicht mehr von irgendwelchen Realitäten getrübt.
Was wird aus Ihrem großen Projekt "Olympia 2666"?
Das Bolaño-Projekt "Olympia 2666" müssen wir leider absagen. Eine Bustour, wo 200 Menschen 24 Stunden lang zusammen Bus fahren, eng beieinander sitzen und permanent aus- und einsteigen, das wäre der hygienische Supergau. Mir bricht es das Herz, das war das große Wunschprojekt zum Abschluss.
Stattdessen sind die Kammerspiele sehr aktiv im Internet und streamen unter anderem Theaterstücke, bei denen sich Schauspieler per Videokonferenz zusammenschalten, etwa bei "Yung Faust" oder "No Sex". Sind das Erzählformate, die bleiben werden?
Für mich ist diese ganze Pandemie-Zeit ein großer Workshop im Umgang mit den Internetmöglichkeiten. Die digitale Versiertheit der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Kammerspiele wird durch die Krise deutlich zunehmen. Das wird auch nach der Krise bleiben, an solchen Vorgängen sollte man dranbleiben. Wenn mich eine Stadt fragen würde, worauf ich totale Lust habe, würde ich sagen: Gebt mir ein Theater oder eine große, gut ausgestattete Halle, und ich bringe Künstler und Künstlerinnen zusammen, um zwischen bildender Kunst, Theater, Film und Internet eine Art von zukünftiger Kunst zu entwickeln.
Haben Sie Hoffnung, dass vor Ihrem Abschied aus München noch mal die Bühne öffnen wird?
Ich habe mich sehr deutlich von der Vorstellung verabschiedet, dass wir sechs oder zwölf Wochen leiden und dann berappelt sich die Situation wieder. Es wird irgendwann wieder losgehen, aber ich finde die ganzen Diskussionen über Postcorona Quatsch. Es geht nicht mehr um die Frage, wie rettet man über die nächsten fünf Wochen ein bestimmtes Leben und kehrt dann zur Normalität zurück. Für mich geht es eher darum: Wie findet man ein sinnvolles Leben für die nächsten 24 Monate mit Corona.
Wie geht es Ihnen mit diesen ganzen Beschränkungen?
Ich wasche mir gerne und oft die Hände und fühle mich das erste Mal in meinem Leben nicht von Frau Merkel unterdrückt. Aber ich finde es schwierig, dass in den Reden von Söder und Merkel Kultur keine Rolle spielt. Für mich sind Künstlerinnen und Künstler absolut systemrelevant. Für die Entwicklung einer Coronagesellschaft sind Theater und Kunst ein großes Labor.
Was wünschen Sie sich von der Politik?
Mein erster Wunsch wäre, dass den Theatern wieder erlaubt wird, Produktionen zu erarbeiten, auf welche Art und Weise auch immer sie dann präsentiert werden. Und so wie nach der Krise hoffentlich das Klima eine andere Rolle spielen wird, wünsche ich mir, dass dieses Verabschieden von dem neoliberalen Sparregime nicht plötzlich wieder ausagiert wird an der Kulturszene.
Wie beurteilen Sie die Situation vor allem der freien Kulturschaffenden?
Die Situation von freien Gruppen, Regisseuren, Schauspielern ist beschissen. Ich finde, dass die Politik sehr deutlich Initiativen unternehmen muss, damit diese Szene nicht vor die Hunde geht. Wenn die Krise noch eine Weile dauert, haben wir sonst eine kunstfreie Gesellschaft. Die Krise ist eine Gelegenheit, dass man sich von der alleinigen Fixierung auf die Ökonomie verabschiedet.