Kultur
Im tumultösen Nichts
18. Januar 2023, 17:17 Uhr aktualisiert am 18. Januar 2023, 17:17 Uhr
Schon der sensationsheischende deutsche Untertitel verrät unfreiwillig, woran dieser Film krankt: "Rausch der Ekstase". Es ist eine Doppelung - und wenn man "Babylon" als Synonym für Lasterfeiern hinzunimmt, sogar eine Verdreifachung, die suggeriert, dass es hier ganz extrem orgiastisch zur Sache geht. Und dann geht es wirklich nach gut 10 Minuten auch gleich los - auf einer Party in den Bergen über dem noch jungen Stummfilm-Hollywood, 1926 in einer Villa im spanischen Stil.
Wer einmal Baz Luhrmanns "Moulin Rouge"-Turbulenz-Szenen gesehen hat, weiß, woran sich Regisseur und Drehbuchautor Damien Chazelle orientiert hat - und gleich scheitert. Man sieht in einem überquellenden Ballsaal - für US-Verhältnisse überraschend - viele entblößte Brüste, sogar Kopulationen in den Ecken, und als einer der zig erotischen Belustigungen der Massen schlüpft noch ein kleinwüchsiger Mann aus einem Riesenüberaschungs-Ei und hüpft auf einer gefederten Krücke mit einer Riesenpenisattrappe durch den Hexenkessel.
Marlene Dietrich
würde sich im Grab umdrehen
Nach Minutenlangen Voyeurs-Umhersausen der Kamera entsteht beim Zuschauer paradoxerweise: Nichts! Die zweifelhafte Erotik verpufft, die Geilheit wirkt aufgesetzt und man ist eigentlich froh, auf diese Vulgärfeier nicht eingeladen worden zu sein.
Das sehen aber die beiden Protagonisten anders, die es als Außenstehende auf die VIP-Party schaffen: Diego Calva spielt einen Latino-Gelegenheitsarbeiter, der vom Filmbusiness träumt - und von Brad Pitt als Stummfilm-Superstar erst zynisch als Handlanger ausgenutzt, dann aber als Organisationstalent entdeckt und beim Film untergebracht wird.
Parallel wird die Geschichte eines Starlets aus prekärsten Verhältnissen erzählt, die mit Kleidern, die wenig bedecken und Frechheit, um Aufmerksamkeit buhlt. Sie bekommt ihre Filmchance - tanzend auf einem Saloon-Tresen: eine peinliche Anspielung auf Marlene Dietrich in "Der große Bluff", weil Margot Robbie sich hier wie eine sich wilde Poletänzerin aufführt - wiederum platt und ohne Sinn für die Subtilität von Erotik. Und dass diese beiden - der Latino und das drogenabhängige Sternchen - bald ein Liebespaar bilden, glaubt man keine Sekunde, so dass "Babylon" auch als Liebesfilm nicht zündet.
Dass überhaupt alle Figuren über drei Stunden keinen Charakter entwickeln, sich überhaupt gar nicht entwickeln, sondern durchgängig wie Schießbudenfiguren oder Karikaturen wirken, führt zu weiterer Ermüdung. Denn das könnte allenfalls viel zugespitzter, aber eben auch eleganter funktionieren, wenn "Babylon" als Satire angelegt wäre, was manchmal aufblitzt, wenn im Nebenraum einer Party Kokain wie Mehlhaufen in einer Bäckerei auf den Art-Deco-Tischen liegt.
Man glaubt keine
Gefühle und alles ist überambitioniert
Aber "Babylon" ist eher als Tragikomödie und generell als Filmgeschichtsfilm angelegt. Aber selbst das Zeitkolorit, das mit Dutzenden von Oldtimern und Prunk-Interieurs protzt, wirkt manchmal seltsam durchbrochen, wenn Figuren - wie eine Regisseurin (orientiert an der realen Regisseurin Dorothy Arzner) - einfach wie im Heute gestylt sind oder sich bewegen.
Vielleicht werden sich Filmgeschichtsseminare über den Film beugen und Personen dechiffrieren. Aber dabei wird man feststellen, dass die Originale wie Clark Gable, Rudolf Valentino und Douglas Fairbanks interessanter sind, als Brad Pitt sie kondensiert darstellen kann, auch wenn er als einziger spielerischen Charme und spürbare Tragik entwickelt.
Natürlich darf ein Film aus fast hundertjähriger Distanz auch die Gegenwart durchschimmern lassen, hier wird sie mit dem Holzhammer serviert: Wenn sich der schwarze Jazztrompeter (gespielt von Jovan Adepo) noch schwarze Schuhcreme ins Gesicht schmieren muss, weil er dem Produzenten zu hell ist. Und auf einer natürlich weißen Upperclass-Party wird er zum Schaustück geheuchelter Liberalität. Auf dieser Feier lässt man dann auch das Starlett brutal als ungebildet auflaufen, so dass Margot Robbie aus Protest das Buffet verwüsten und auf den Perserteppich kotzen darf, was aber weder tragisch noch lustig rüberkommt, sondern einfach dumm und ordinär. Überhaupt konnte sich Damien Chazelle nie schlüssig für Genres entscheiden und ist an der Masse an Aspekten und Episoden gescheitert.
Dass man nach dem Oscar-Abräumer "La La Land", der mit 30 Millionen Dollar Produktionskosten 470 Millionen einspielte, dem heute 38-jährigen Damien Chazelle geschätzte 100 Millionen Dollar anvertraute, ist erst einmal nicht überraschend. Aber spätestens beim Drehbuch hätten die Produzenten merken müssen, dass hier nichts aufgeht.
In den USA ist "Babylon" bislang nicht über desaströse 15 Millionen Dollar an der Kinokasse hinausgekommen. Ob das aktuelle Interesse an den 20er-Jahren den Film in Europa weiter trägt?
Kino: Arri, Cinemaxx sowie
Leopold, Rio (auch OmU),
Monopol (OmU), Mathäser
(auch OV), Cinema (OV)
R: Damien Chazelle
(USA, 188 Min.)