Kultur
Diesen Kuss der ganzen Welt
14. März 2023, 18:04 Uhr aktualisiert am 14. März 2023, 18:04 Uhr
Flirrendes Gold füllt den Raum, endlos viele Flitter wie bei einem Schneegestöber. Und damit ist man mittendrin in "Klimts Kuss" - das ist der Titel der neuen immersiven Show im Utopia - und knutscht gleich selber mit. So nah kommt man dem innig verschlungenen Paar mit seinem goldenen Mantel, dessen Ornamente sich auch schon wieder in Kreise, Punkte, Blumen und vielleicht Sternschnuppen auflösen. Zu Beethovens "Freude schöner Götterfunken".
Mehr Pathos geht nicht, und man wird noch einmal ganz wuschig vom bekanntesten Gemälde des Wiener Jugendstil-Künstlers. Mit diesem veritablen Goldrausch endet die Ausstellung über Leben und Werk Gustav Klimts. Los geht es völlig anders, gruselig sogar, mit Feuer und Zerstörung. Gemeint ist Schloss Immendorf, wo die Nazis Kunstwerke bargen. Im Mai 1945 ging das Gebäude in Flammen auf und mit ihm auch die legendären Fakultätsbilder des Malers.
Sie haben dem Anfang 30-jährigen Klimt 1894 den ersten großen Skandal beschert. Nackte Frauen mit Schamhaaren oder Schwangerschaftsbauch wollte niemand in der Öffentlichkeit sehen und schon gar nicht im Festsaal der Wiener Universität. Die Schlangen-Mädchen, Nixenwesen und eine "unmäßig" üppige Dame auf dem Beethoven-Fries der Secession besorgten 1901 schließlich den Rest.
Klimt hat gerne mit dem Feuer gespielt, provoziert, den Finger in die Wunden einer scheinheiligen, verklemmten Gesellschaft gelegt. Und er ist einen sehr eigenen, unabhängigen Weg gegangen, den seine kluge Ex-Geliebte Emilie Flöge aus ihrer Sicht herrlich lässig erzählt - fiktiv natürlich. Die weibliche Perspektive war dem Schweizer Drehbuchautor, Liedtexter und Komponisten Roman Riklin besonders wichtig, und gerade bei diesem Künstler und manischen Liebhaber der Frauen funktioniert die Herangehensweise ziemlich gut.
Gustav und Emilie haben sich kennengelernt, als er fast 30, sie erst 17 Jahre alt war. Doch Emilie hat schnell überrissen, dass sie ihren Gustav mit mehreren Gespielinnen teilen müsste, und bald das freundschaftliche Dasein einer engen Vertrauten vorgezogen. Sie wusste um sein Denken, war selbst eine höchst kreative Modedesignerin mit eigenem Atelier und einer Kundschaft, die sich gerne modern ausstaffieren wollte.
Die Flöge konnte das Ungeheuerliche der Kunst Klimts ermessen, auch sein Verhältnis zu den Frauen und Modellen, die ihm einen Stall Kinder "schenkten". Schwer zu sagen, ob es ihm um den eigenen erotischen Kick beim Malen und in der Folge den der Kunden oder um die Darstellung weiblicher, selbstbestimmter Lust geht. Die wurde den Frauen bis dato abgesprochen.
Darüber darf man sich selbst Gedanken machen, sofern man nicht um den Verstand gebracht ist. Oder sich im Goldregen und als küssendes Paar verliert. Fünf Stationen bieten diese Foto- und Instagram-tauglichen Gimmicks, obwohl Klimt Einspruch einlegen müsste: "Wer über mich als Künstler etwas wissen will, der soll meine Bilder aufmerksam betrachten und daraus zu erkennen suchen, was ich bin und was ich will." Schwierig. Andererseits könnte die 100 000-Ticket-Marke der Frida-Kahlo-Schau leicht geknackt wird.
"Klimts Kuss. Spiel mit dem Feuer" bis 14. Mai 2023 täglich von 10 - 21 Uhr im Utopia, Heßstraße 132, Karten ab 22 Euro unter www.klimts-kuss.de