Kultur

Die Fab Four in anderen Farben

"Your Mother Should Know - Brad Mehldau Plays The Beatles" in Jazzversionen


Brad Mehldau kann bekannte Songs sezieren und dann - in neuer Gestalt - die Grundideen aufzeigen.

Brad Mehldau kann bekannte Songs sezieren und dann - in neuer Gestalt - die Grundideen aufzeigen.

Von Dominik Petzold

Der amerikanische Starmusiker Brad Mehldau begann als Kind in den Siebzigern Klavier zu spielen und begeisterte sich für Billy Joel und Supertramp. Später fand er heraus, wo deren Musik ihren Ausgangspunkt nahm: bei den Beatles.

Mehldau wurde dann Jazzer, einer der berühmtesten unserer Zeit, interpretierte aber immer wieder Rocksongs, von Radiohead, Jeff Buckley oder eben, besonders oft, von den Beatles. Nach langem Zureden ließ er sich überzeugen, ein ganzes Album damit zu veröffentlichen.


Aufgenommen wurde es 2020 live in der Philharmonie de Paris. Gewiss, man kann Beatles-Alben von Jazzern kaum noch zählen. Aber Brad Mehldaus "Your Mother Should Know" kann man auch Fab-Four-Fans ans Herz legen, die es nicht so mit dem Jazz halten. Denn hier geht es nicht darum, sich über den fabelhaften Akkordwechseln in einen swingenden Rausch zu improvisieren.

Das macht Mehldau zwar auch hier und da, selbstredend auf unglaublich virtuose Weise, aber im Vordergrund steht etwas anderes. Der Pianist bleibt nahe bei den Kompositionen von Lennon und McCartney, in einem Fall auch von George Harrison ("If I Needed Someone"), und hat Solo-Arrangements für sie geschaffen, durch die man sie ganz neu hören kann. Er erweitert die Harmonien, oft auch dissonant, er bricht sie oder stellt sie mit Läufen der linken Hand in andere Zusammenhänge - und bringt ihre unerklärliche Schönheit auf ganz eigene Weise zum Leuchten. Zum Beispiel bei dem eröffnenden "I Am The Walrus", bei dem er jedes einzelne Motiv des Originalarrangements bearbeitet - und vorführt, wie viele geniale Ideen in diesem Song stecken.


McCartneys "For No One" lässt Mehldau mal romantisch, mal bluesig tänzeln, Lennons Psychedelic-Kracher "She Said She Said" macht er zur bewegenden Ballade und bei all dem holt er einen Wahnsinnssound aus dem Flügel. Und bei manchen Songs arbeitet er stilistische Verwandtschaften heraus: Klar, wenig überraschend steckt in "I Saw Her Standing There" ein schöner Boogie-Woogie. Aber wer hätte "Baby's In Black" vorher in der Nähe eines Gospels gehört?

Faszinierend ist auch der Titelsong "Your Mother Should Know": Den spielt Meldau als Stride-Piano-Nummer im Stil der frühen Jazzer, vielleicht sogar etwas ähnlich wie Jim McCartney gespielt hat, während sein kleiner Sohn Paul auf dem Wohnzimmerboden lag und alles in sich aufsog - aber mit dem Zwischenspiel nach den Strophen erinnert Mehldau an die Romantik.


Für diesen famosen Arrangements hat er sich intensiv damit auseinandergesetzt, wo die Musik der Beatles herkam. Und wo sie hinführte, erläutert Mehldau in einem blitzgescheiten Essay, das der Platte beiliegt: Die Beatles hätten einen solch dauerhaften Einfluss auf die Musik entfaltet, weil ihre Songs seit "Rubber Soul" 1965 "strange" gewesen seien - eigenartig also, mit all ihren verschrobenen Rhythmen, die man kaum bemerkte, mit ihren unorthodoxen Akkordwechseln und Anleihen bei Stilen, die in der Rockmusik vorher nichts zu suchen hatten. Diese Musik aber hätten die Hörer so sehr verinnerlicht, dass sie diese nicht mehr als eigenartig empfanden. Anders ausgedrückt: Die Beatles haben verändert, wie wir Pop hören.

Und auch auf einen weiteren musikhistorischen Aspekt verweist Mehldau: Mit den späten Beatles sei das Klavier ins Zentrum der Popmusik gerückt. So erklärt sich auch, wieso er sein Album mit David Bowies "Life On Mars?" beendet: In dieser stürmisch bejubelten Zugabe gibt er einen Ausblick, wie es mit dem von den Beatles initiierten Piano-Pop weitergehen sollte. Dem Stil also, der einen kleinen Jungen namens Brad in den Siebzigern für die Musik begeisterte.

"Your Mother Should Know - Brad Mehldau Plays The Beatles" ist bei Nonesuch/Warner erscheinen