AZ-Filmkritik
"Das zweite Leben des Monsieur Alain": Entdeckung der Menschlichkeit
22. August 2019, 0:00 Uhr aktualisiert am 22. August 2019, 0:00 Uhr
Fast wie im richtigen Kapitalismus: "Das zweite Leben des Monsieur Alain" ist allzu menschlich.
Entspannung, Entschleunigung, Work Life Balance? Für Alain Wapler (Fabrice Luchini) kein Thema. Um 5.50 lässt sich der Manager durch Wirtschaftsnachrichten wecken, schnelles Frühstück, Fahrt mit Chauffeur ins Büro, die Tage vollgestopft mit Terminen. Er ist ein autoritärer Chef, respektiert, aber gefürchtet, ein Macher auf der Überholspur ohne einen Funken Empathie oder wirkliche Freunde.
Und dann wird er aus dem Hamsterrad geworfen. Plötzlich Stillstand, ein Schlaganfall mit folgenden Sprach- und Gedächtnisstörungen: der Workaholic allein zu Haus! Eine junge Logopädin macht dem widerspenstigen Patienten klar, dass es Zeit braucht, um wieder zu funktionieren, wenn überhaupt.
Alles das ist ein bisschen zu viel des Guten
Hervé Mimrans tragische, zärtliche und manchmal auch ziemlich drastische Tragikomödie dreht sich durch Wiederholungen etwas im Kreis. Die Geschichte basiert auf der Autobiografie von Peugeot- und Airbus-Boss Christian Streiff, der 2008 die Folgen seines Schlaganfalls drei Monate verbarg und dann innerhalb von zwei Stunden gefeuert wurde. Der filmische Kotzbrocken ist aber nicht wirklich er. Denn dieser Wapler darf noch mit Unterstützung der Logopädin auf der Genfer Automesse "sein" Luxus-Elektroauto vorstellen und fliegt erst einen Tag später aus der Job- und Komfortzone. Behinderte in der Hochglanzetage? Nein danke! So kriegt auch der Kapitalismus und sein Leitbild vom fitten Krieger sein Fett ab.
Manche Szenen auf dem Weg zurück zur Normalität rühren, aber die permanenten Sprachverwirrungen und Satzverdrehungen nerven. An Sentimentalität hingegen mangelt es nicht: die vom Vater vernachlässigte Tochter, die sich liebevoll um ihn kümmert, seine Wandlung vom Egoisten zum sympathischen Mann, der später auf dem Jakobsweg nach Orientierung sucht. Alles das ist ein bisschen zu viel des Guten. Amüsant aber sind die kleinen Kämpfe zwischen Luchini als einstigem Machttypen und Leila Bekhti als Helferin in der Not. Die wurde einst adoptiert und sucht nun ihre leibliche Mutter. Dass der vom Saulus zum Paulus mutierte Monsieur als ziemlich bester Freund jetzt die Verschollene für sie findet, setzt der Tragikomödie noch einen Kitsch-Tick drauf.
Kino: City, Mathäser sowie Monopol (auch OmU) und Theatiner (OmU); B&R: Hervé Mimran (F, 100 Min.)
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