AZ-Filmkritik

"Das Mädchen, das lesen konnte": Als würde man ein Dorf heiraten


Von Bernhard Lackner

Im Historienfilm "Das Mädchen, das lesen konnte" sind die Frauen einer Gemeinde auf sich gestellt - und warten auf einen Mann.

Plötzlich leben in dem Bergdorf in der Provence nur noch Frauen. Alle Männer sind verhaftet worden, nach einem Aufstand gegen Napoléon, der sich Anfang der 1850er zu Napoleon III., Kaiser der Franzosen, krönen möchte. Die älteren Frauen entdecken ihre Unabhängigkeit, doch die jüngere Generation ist zunehmend einsam und verzweifelt. Die junge Bäuerin Violette etwa, die eine Familie gründen möchte. Aus Angst davor, dass sich die Dorfgemeinschaft auflöst, schließen die Frauen nach einem Jahr einen Pakt: Sollte eines Tages ein Mann ins Dorf kommen, so soll er der Mann aller Frauen sein. Als dann tatsächlich ein Mann bei ihnen einkehrt, wird es spannend.

"Das Mädchen, das lesen konnte" ist die Geschichte eines interessanten Sozialexperiments. Durch den Verlust der Männer sind die Frauen gezwungen, deren Aufgaben zu übernehmen, sie stoßen aber auch auf Probleme in ihrem neuen Sozialgefüge. Solidarität stehen neben Konkurrenzdenken, und Spannungen werfen einen Schatten auf die erfolgreiche weibliche Emanzipation. Violette Ailhaud schilderte die Ereignisse in ihrer Autobiographe mit dem Titel "Der Samenmann". Doch es ist ungeklärt, ob sich die Geschichte wirklich so zugetragen hat.

Die filmische Umsetzung von Marine Francen überzeugt jedenfalls: durch gekonnte Kameraführung und den psychologisch plausiblen Einblick in einen matriarchalischen Mikrokosmos, in dem sich eigene Regeln ausbilden. Einige Wendungen sorgen dafür, dass der Film spannend bis zum Schluss bleibt.

Kinos: Theatiner (OmU), Arena (deutsch und OmU) Regie: Marine Franssen (F, 98 Minuten)