Kultur

Ausstellung "Verdammte Lust!" im Diözesanmuseum Freising: Das Kreuz mit dem Körper

Im Diözesanmuseum zu Freising geht's kunstvoll zur Sache: Die ziemlich mutige Ausstellung "Verdammte Lust!" greift das hochproblematische Verhältnis zwischen Sexualität und Kirche auf und trifft ins Schwarze.


Paolo Veroneses Susanna und ihre Erpresser (1585).  Foto: Genua, Musei di Strada Nuova, Palazzo Bianco

Paolo Veroneses Susanna und ihre Erpresser (1585). Foto: Genua, Musei di Strada Nuova, Palazzo Bianco

Von Christa Sigg

Das geht ja mit Schweinkram los", ulkt ein Besucher. Dabei hopsen nur ein paar Nackerte auf einer Wiese - zur Musik von Jean-Philippe Rameau. Völlig ungezwungen, als sei das hüllenlose Dasein das Normalste der Welt. Paradiesische Urzustände sozusagen. Allerdings handelt die Ballettoper "Les indes galantes", aus der ein Prologmitschnitt der Nürnberger Produktion von 2016 zu sehen ist, von lauter scheiternden Beziehungen. Und der Apfel lässt sowieso nicht lange auf sich warten.

Damit ist das Drama auch schon im Gange: In der Bibel müssen Feigenblätter her, denn mit der Ursünde ist urplötzlich die Scham da, und so stolpern Adam und Eva, diese allerersten Hippies, hinaus aus den Gärten der Unschuld schnurgerade auf Mühsal, Krankheit und Tod zu. An der Nacktheit pappt jetzt das sexuelle Begehren. Die unkontrollierte Libido würde zu den Strafen der Erbsünde gehören, wird es der Kirchenlehrer Augustinus - einst kein Kostverächter - im frühen 5. Jahrhundert zuspitzen.

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Adam und Eva von Lucas Cranach.

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Michelangelo zugeschriebenes Kruzifix.

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Guido Renis Sebastian aus dem Palazzo Rosso in Genua.

Beinharter Stoff ist das hinter diesem gelungen ungezwungenen Auftakt einer Ausstellung, in der es um die "Verdammte Lust", konkret um das Hochspannungsfeld zwischen Christentum und Sexualität geht. Ausgerechnet im Diözesanmuseum Freising. Und vor fünf Jahren auch noch angestoßen von Kardinal Reinhard Marx und dem damaligen Generalvikar Peter Beer, der für die Diözese das erste Missbrauchsgutachten in Auftrag gegeben hatte. Nun hält Marx den Schirm und könnte mit seiner christlich-menschlichen Eröffnungsrede für ein paar Wiedereintritte gesorgt haben ("Sexualität ist ein Geschenk Gottes", der Aufruf "Sexualität gestalten" klingt dafür nach einem Gemeinde-Workshop für Ehewillige).

Man spürt, dass ihn das Thema umtreibt, dazu ist der Geistliche viel zu sehr von dieser Welt. Am Museum selbst hat man mit dem Vorschlag dagegen gehadert, sehr sogar, gibt Direktor Christoph Kürzeder unumwunden zu. In der fundamentalsten Krise der Kirchengeschichte schießt man sich damit leicht ins eigene Bein. Und nun? Ist die neue Sonderausstellung so verblüffend wie mutig und debattenträchtig. Es donnert mitten ins Dilemma, und in der Reihung "sündiger", "sinnlicher", "reiner" oder "verbotener" Körper werden weder Übergriffe noch sexuelle Gewalt ausgeklammert.

Susanna im Bade ist ein klarer Fall für die MeToo-Debatte

Da fasst etwa der verliebt-lüsterne Flötenlehrer Pan seinem Schüler Daphnis allzu vertraulich um die Schulter, sodass der Knabe verstört zur Seite blickt. Man kann diese pädagogische Grundproblematik kaum besser verdeutlichen als durch diesen antiken Skulpturentypus. In Freising ist es eine römische Kopie aus dem 1. Jahrhundert vor Christus, gefertigt nach griechischem Original.

Die alttestamentarische Susanna ist eine zentrale Figur auf dem Feld der sexuellen Nötigung und im Zuge der MeToo-Debatte wieder in den Fokus der Kuratoren gerückt. Am Kölner Wallraf-Richartz-Museum ging eben erst eine umfassende Susanna-Schau zu Ende.

Auch in Freising werden sehr unterschiedliche Perspektiven vorgestellt, zwei fabelhafte Leihgaben bleiben dabei besonders im Gedächtnis. Einmal ist es die Version des Venezianers Paolo Veronese, der die Badende ängstlich, aber zugleich sehr attraktiv vor Augen führt - im Hintergrund grinst ein marmorner Satyr, dessen erigiertes Glied noch bis vor Kurzem übertüncht war. Die zweite Susanna wurde von einer Frau gemalt, die Vergewaltigungen am eigenen Leib erfahren hat: Artemisia Gentileschi. Entsprechend verzweifelt, ja angewidert wendet sich die Bedrängte von den betagten Herren ab, die sich im Schulterschluss gefährlich nah über sie beugen.

"Verletzte Körper" ist dieses Kapitel überschrieben, genauso müsste von verletzten Seelen die Rede sein, die kaum mehr zu heilen sind. An Lust und sexueller Gier klebt eben auch die Gewalt, die sich triebhafte Menschen zuweilen selbst antun, um die Übermacht der Hormone zu dämpfen. Die ausgebreiteten Marterwerkzeuge sprechen eine klare Sprache. Ordensgründer Franziskus wälzte sich zur "Abkühlung" gar nackt in Dornensträuchern. Dass ein Geistlicher einer Nonne in roten Strümpfen (!) den bloßen Hintern versohlt, hat dann schon wieder die sexuelle Fantasie beflügelt. Auch des Betrachters oder Auftraggebers.

Denn oft genug waren moralisierende Bilder ein Vorwand, möglichst viel nackte Haut darzustellen und auf Künstlerseite natürlich auch malerisches Können zu demonstrieren. Büßerinnen wie Maria Magdalena betrifft das ganz besonders. Die ehemalige Sexarbeiterin wird nicht selten entrückt wie beim Orgasmus - Francesco Cairo lässt sie 1650 noch von süßlichen Engelchen halten - oder mit prallen Brüsten gezeigt.

Genauso tun Märtyrer wie der Heilige Sebastian reizvollen Dienst. Gerade wenn der zum Tode verurteilte Soldat verzückt seine Pfeile empfängt und dabei den minimal bekleideten jungen Leib so elegant in Szene setzt, dass er zur Ikone und zum Sehnsuchtskörper der Schwulenbewegung wurde. Guido Renis Adonis von 1616 schaut dabei so treuherzig gen Himmel, dass das womöglich noch einen Extrakick beschert hat.

Das kommt in jedem Fall besser, als pornografische Stiche in frommen Schriften zu verstecken. Doch auch die fanden reißenden Absatz. Der Dürer-Schüler Hans Sebald Beham ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig, für seine Blätter wurde der "gottlose Maler" verurteilt und schließlich aus Nürnberg verbannt. Dass der große Raffael das Badezimmer von Kardinal Bibiena mit Erotischem dekoriert hat, wird dagegen unter den Teppich gekehrt. Das passt nicht zu einem bejubelten Malergenie. Etwas später haben dann die Carracci halb Rom mit Pornografischem versorgt, darunter jede Menge Würdenträger des Vatikans.

Der Systemfehler Zölibat zieht eben einen Rattenschwanz unlösbarer Probleme hinter sich her oder stößt sie erst an. Zudem gibt es keine "reinen Körper", die sich auf eine Abrakadabra-Zeugung von oben verlassen dürfen. Da kommen selbst im Verkündigungsgemälde des Barockmalers Januarius Zick Zweifel auf, wenn er einen allzu muskulösen Erzengel Gabriel mit einer gewissen Leidenschaft auf die Jungfrau Maria blicken lässt. Seine heftig aufgeplusterten Lendentücher müssen keine zehn Zentimeter nach unten rutschen, um die Scham freizulegen.

Der Höschenmaler vom Vatikan hätte heute wieder zu tun

Völlige Entblößung kann sich im kirchlichen Kontext sowieso nur der Menschensohn leisten, der von der Erbsünde frei ist und damit unangreifbar von jedem Schamgefühl. Das irritiert, gerade bei einem Christus, der nackt am Kreuz hängt - und dazu teuflisch schön geformt ist wie in Giambolognas Bronzeversion und mehr noch in der Michelangelo zugeschriebenen Holzfassung, die aus dem Bargello nach Freising reisen durfte. Im Bereich der Renaissance-Skulptur und gerade in Florenz war das nichts Außergewöhnliches. Nördlich der Alpen muss man dagegen lange suchen, um im Schlossmuseum von Linz fündig zu werden. Dort ist ein jugendlich zarter Gekreuzigter zu sehen, der um 1460/70 vermutlich in Passau geschaffen wurde. Und man darf davon ausgehen, dass nicht allein in diesem Fall Textiles zum "Schutz" der Gläubigen zum Einsatz kam. Es war also lange nicht nur der vatikanische Höschenmaler gefordert.

Man mag darüber lächeln, dabei nähern wir uns dieser Unsitte gerade wieder an. Sicher ist freilich: Es bleibt schwierig. Damit endet diese grandiose, wenngleich etwas einteilungswütige Schau - und zeigt zum Abschluss Leonardo da Vincis "Angelo incarnato", einen "fleischgewordenen Engel", der sich um nichts schert und den Betrachtern amüsiert entgegenlacht. Mit dezent weiblicher Brust und erigiertem Glied. Der rechte Zeigefinger weist zum Himmel, als wollte dieser Prototyp des Johannes sagen: Alles in Ordnung, Leute, der Schöpfer hat mich so geschaffen.

"Verdammte Lust!", bis 29. Mai im Diözesanmuseum Freising, Di bis So 10 - 18 Uhr; Katalog (Hirmer Verlag, 453 Seiten, 39,90 Euro) Essay-Band mit Texten von Barbara Vinken, Ulrich Pfisterer u. a. (215 Seiten, 39,90 Euro)i