Kultur

Aufstand oder Revolution?

Zwei neue politische Sachbücher thematisieren die Proteste im Iran


Ein Bild aus Teheran in diesem März: Die Kopftuchpflicht wird von vielen Frauen nicht mehr akzep tiert, aber der Weg hin zu wirklicher Freiheit ist noch weit.

Ein Bild aus Teheran in diesem März: Die Kopftuchpflicht wird von vielen Frauen nicht mehr akzep tiert, aber der Weg hin zu wirklicher Freiheit ist noch weit.

Von Volker Isfort

In ihrem Roman "Aria" beschreibt Nazanine Hozar aus Sicht der Demonstranten gegen den Schah, wie plötzlich in Teheran überall Soldaten auftauchen. Doch diese schießen nicht, sondern überreichen Blumen. Das war nach langen Protesten mit Tausenden von Toten der Sieg des Volkes gegen den verhassten Diktator. Das Militär war nicht länger bereit, den Schah zu schützen, dieser verließ am 16. Januar 1979 mit seiner Familie das Land. Zwei Wochen später landete - von Millionen Menschen bejubelt - Ajatollah Khomeini nach 14 Jahren Exil in Teheran.

Doch der "Frühling der Freiheit" war bald beendet, vor allem die linken Kräfte, die den Kampf gegen den Schah gemeinsam mit den bürgerlichen und religiösen Bevölkerungsgruppen geführt hatten, wurden bald wieder Zielscheibe der Geheimpolizei. Zehntausende landeten im Gefängnis, wurden gefoltert oder gleich ermordet. Millionen flohen aus der neuen Islamischen Republik. Die Mullahs konnten ihren Machtanspruch damals auch deswegen schnell konsolidieren, weil 1981 der Irak angriff und der achtjährige Krieg alle innenpolitischen "Säuberungen" gegen politische Gegner und religiöse Minderheiten überdeckte.

Seither hat es immer wieder Aufstände gegen das Mullah-Regime gegeben, aber keiner hatte die Intensität von dem, der im September 2022 begann. Die 22-jährige Kurdin Jina Mahsa Amini war wegen eines Verstoßes gegen die islamischen Kleidungsregeln von der "Sittenpolizei" festgenommen worden und starb in Polizeigewahrsam. Daraufhin entlud sich die lang aufgestaute Wut im ganzen Land, quer durch alle Bevölkerungsschichten.

Zwei neue Bücher blicken auf die aktuellen Ereignisse: Gilda Sahebi beschreibt in "Unser Schwert ist Liebe" die "feministische Revolte im Iran", wie der Untertitel heißt. Denn Frauen sind die Anführerinnen in diesem Kampf gegen das Regime und die Geschlechter-Apartheid: Offiziell ist die Frau die Hälfte eines Mannes wert, wenn es etwa um Entschädigungen geht. Die Rebellion gegen das vom Mullahregime aufgezwungene Kopftuch ist daher von hoher symbolischer Kraft. Die Bilder der Frauen, die ihre Kopftücher ablegten, gingen um die ganze Welt. Prominente Sportler und Künstler solidarisierten sich.

Bei Jina Mahsa Aminis Beerdigung kamen - verbotenerweise - tausende Menschen zusammen und skandierten "Frau, Leben, Freiheit", einen Ruf der kurdischen Frauenbewegung, der zum Motto der gesamten Bewegung werden sollte. Gilda Sahebi listet die folgenden Proteste, Verhaftungen und Hinrichtungen auf. "Das iranische Regime kennt nur eine Politik: Pure, grausam, gnadenlose Gewalt. Sinnlose Gewalt", lautet ihr Fazit.

Da das Buch aber teilweise eine Artikelsammlung der vergangenen sechs Monate ist, gibt es in "Unser Schwert ist Liebe" - der Titel ist einem iranischen Lied entnommen - eine Menge wiederkehrender Schilderungen. Sahebi, die als Kind ein letztes Mal im Iran war und aus politischen Gründen nicht mehr einreisen kann, ist verzweifelt, schreibt aber voller trotziger Hoffnung.

Ob das Wort Revolte allerdings wirklich angebracht ist, steht in den Sternen. Denn noch sitzt das Regime fest im Sattel. Westliches Wunschdenken allein wird daran nichts ändern. Die Einflussmöglichkeiten von außen sind ohnehin gering und ganz sicher nicht von der iranischen Bevölkerung gewünscht.

Einen ganz anderen Ansatz wählt Katajun Amirpur in ihrem Buch "Iran ohne Islam". Die Kölner Professorin für Iranistik, die vor zwei Jahren eine Biografie über Khomeini veröffentlichte, beleuchtet überaus differenziert und nachvollziehbar die gesellschaftlichen Widersprüche im Vielvölkerstaat Iran (nur die Hälfte der Bevölkerung spricht Persisch, also Farsi als Muttersprache). Ihr Buch beschreibt die Geschichte der Islamischen Republik, inklusive der Kämpfe innerhalb des Regimes und der Hoffnungen während der Amtszeit des als Reformers gewählten Präsidenten Khatami (1997 - 2005), der an "der Wagenburg der Radikalen" gescheitert war.

Amirpur schreibt bewusst von einem "Aufstand gegen den Gottesstaat", denn der Weg zum Umsturz ist möglicherweise noch weit. Khomeini habe gesehen, dass der Schah sich nicht auf das Militär verlassen konnte und damals umgehend die Revolutionsgarde gegründet.

Diese Armee, die rein zum Schutz des Regimes geschaffen wurde, ist längst in allen wichtigen Sektoren des Landes tätig. "Sie ist von einer paramilitärischen Einheit zum wichtigsten militärischen, wirtschaftlichen und politischen Akteur der Islamischen Republik aufgestiegen, so dass die Macht der IRGG fast unantastbar scheint", schreibt Amirpur.

Dieser Aufstieg wurde durch wirtschaftliche Sanktionen gegen den Iran eher beflügelt denn behindert. Daran werden wohl auch die Überlegungen der EU, die Revolutionsgarde auf die Terrorliste zu setzen, wenig ändern.

Hoffnung macht Amirpur vor allem, dass die "ideologieferne Mehrheitsbevölkerung" einen hohen Bildungsstandard hat, über das Weltgeschehen bestens informiert ist und den Lügen eines Regimes, das sich auf Religion beruft und Teenager hinrichten lässt, größtenteils keinen Glauben mehr schenkt.

"Viele Menschen sagen sich: Wenn unsere Praxis hier der reine Islam ist, dann besser keinen Islam", schreibt Amirpur, die noch bis vor kurzer Zeit das Land regelmäßig besuchte. Der "theokratische Polizeistaat" hat in ihren Augen auch deshalb keine Zukunft mehr, weil das Volk sich mit kleinen Reformen nicht mehr beruhigen lassen würde. Die Mullahs haben jeden Kredit verspielt.

Gilda Sahebi: "Unser Schwert ist Liebe" (S. Fischer, 256 Seiten, 24 Euro) Katajun Amirpur: "Iran ohne Islam" (C. H. Beck, 240 Seiten, 25 Euro)