Immobilien
Zinsanstieg, teures Bauen, Lieferengpässe - Ende des Booms?
6. Juni 2022, 13:00 Uhr aktualisiert am 6. Juni 2022, 13:00 Uhr
Nach jahrelangen rasanten Preissteigerungen häufen sich am Immobilienmarkt die Turbulenzen. Mit steigenden Zinsen sind die Rekordpreise für Wohnungen und Häuser immer schwerer zu finanzieren. Fallen nun die Preise?
Nach mehr als zehn Jahren Immobilienboom in Deutschland und enorm steigenden Preisen erwarten einige Experten eine Wende am Wohnungsmarkt.
Ob kräftig steigende Bauzinsen, Unsicherheit wegen des Ukraine-Kriegs, teure Baustoffe oder Lieferengpässe - die Turbulenzen nehmen zu. Besonders wegen der steigenden Zinsen können sich immer mehr Leute den Kauf einer Wohnung oder eines Hauses nicht mehr leisten. Endet nun bald der Boom?
Bisher seien Vorzieheffekte von Menschen zu sehen, die noch schnell Immobilien kaufen wollten, bevor die Bauzinsen weiter steigen, sagt Michael Voigtländer, Immobilienexperte am Institut der deutschen Wirtschaft (IW). "Im zweiten Quartal sollten wir dann aber eine Wende am Immobilienmarkt sehen", meint er. "Klar ist, dass mit rapide steigenden Zinsen mehr und mehr Käufergruppen aus dem Markt fallen." Auch bei großen Investoren ändere sich das Bild. "Sie wollen noch kaufen, aber angesichts der höheren Zinsen zu niedrigeren Preisen."
Denkbar sei aber auch eine längere Preisstagnation, bis der Markt über steigende Einkommen wieder ein Gleichgewicht gefunden habe, sagt Voigtländer. Auch die Neuvertragsmieten dürften nicht mehr so stark wachsen. "Die hohen Energiekosten schlagen bei den Nebenkosten durch und belasten die Zahlungsfähigkeit der Menschen."
Zinsen haben sich fast verdreifacht
Binnen weniger Monate sind die Bauzinsen hochgeschossen. Die Zinsen für zehnjährige Standardkredite haben sich laut der Frankfurter FMH-Finanzberatung seit Dezember von 0,9 Prozent auf zuletzt rund 2,5 Prozent erhöht - der schnellste Anstieg seit 1980. Tendenz weiter steigend, glaubt FMH: "Zinssätze von vier Prozent in diesem Jahr sind keine Schwarzmalerei, sondern sehr realistisch."
Zwar seien die Bauzinsen historisch gesehen noch vergleichsweise niedrig, schrieb Stefan Mitropoulos, Ökonom bei der Landesbank Helaba, kürzlich in einer Analyse. Dennoch solle man den Zinsanstieg nicht unterschätzen. "Die deutlich höheren Finanzierungskosten dürften die Nachfrage nach Wohnimmobilien insgesamt dämpfen und stärker in das preisgünstigere weitere Umland der großen Städte lenken." Damit sollte sich Jahresverlauf der Preisanstieg am Wohnungsmarkt "spürbar verlangsamen".
Überhöhte Preise in Städten
In den vergangenen Jahren sind die Immobilienpreise immer schneller gestiegen - trotz aller Warnungen vor einer Blase. Im Jahr 2021 mussten Käufer für Wohnungen und Häuser im Schnitt elf Prozent mehr zahlen als ein Jahr zuvor. Der Trend zu überhöhten Immobilienpreisen alarmiert die Bundesbank seit Jahren. Die Immobilienpreise in den Städten lägen zwischen 15 Prozent und 40 Prozent über dem Preis, der sich fundamental begründen lasse, warnte sie im Frühjahr.
Auch Fachleute der Deutschen Bank erwarten, dass der Aufwärtszyklus am Wohnungsmarkt dem Ende steht und nach ihren Modellen im Jahr 2024 ausläuft. Die Preisüberbewertungen nähmen zu, während in der Pandemie weniger Menschen nach Deutschland gezogen seien und der Neubau dynamisch zugelegt habe, schrieb Experte Jochen Möbert. Er rechnet eher mit einer "verhaltenen Preiskorrektur" als mit Einbrüchen.
An der Börse ist die Unsicherheit schon spürbar. Die Aktien von Immobilienkonzernen wie Vonovia sind abgestürzt, da Investoren die Aussichten der Branche im Zinsanstieg kritisch beäugen. Und auch Entwickler von Wohnungs- und Gewerbeprojekten bekommen Gegenwind. Während die Finanzierungskosten steigen, seien Banken bei Krediten zurückhaltender, berichtete die Analysefirma Bulwiengesa.
Lieferengpässe in Baubranche
Auch am lange boomenden Bau läuft es nicht mehr rund. In einer Umfrage des Ifo-Instituts klagten kürzlich rund die Hälfte der Hochbau- und Tiefbauunternehmen über Lieferengpässe - so viele wie noch nie seit Beginn der Erhebungen 1991. Die Baufirmen erleben auch mehr Auftragsstornierungen. "Neue Projekte sind kaum kalkulierbar", sagt Ifo-Experte Felix Leiss. Wegen der schlechteren Aussichten hat die deutsche Bauindustrie schon ihre Umsatzprognose gesenkt.
"Der seit 2009 laufende Bauboom steht nicht vor dem Ende, aber trübt sich ein", meint Björn Reineke, Partner bei der Strategieberatung EY-Parthenon. Er bleibt aber zuversichtlich. So treibe der enorme Bedarf an energetischen Sanierungen die Branche langfristig an.
Die Baupreise, die 2021 um 9 Prozent gestiegen waren, dürften aber hoch bleiben. "Da ist weiter Druck auf dem Kessel." Für private Bauherren werde es nicht billiger, so Reineke. Fachkräfte am Bau blieben knapp. Die Nachfrage am Wohnraum sei riesig und der Wohnungsbau intakt. "Kosten für Baumaterial und Zinsen sind hoch, aber Projekte werden noch durchgeführt." Künftige Vorhaben würden aber wegen Inflation und Zinssteigerungen mit spitzerem Bleistift gerechnet.
Dass ein starker Neubau den Wohnungsmangel in vielen Ballungszentren beseitigt, ist indes nicht zu erwarten. Im vergangenen Jahr wurden überraschend nur gut 293.000 Wohnungen fertiggestellt - meilenweit entfernt vom Neubauziel der Bundesregierung von 400.000 Wohnungen jährlich. Wohnraum bleibt also vielerorts ein knappes und teures Gut.
Helaba-Experte Mitropoulos glaubt denn auch nicht an Preiseinbrüche. Die steigenden Zinsen sprächen für eine langsamere Gangart. "In unserem Basisszenario, in dem sich der Zinsanstieg nicht in diesem Tempo fortsetzt und die deutsche Volkswirtschaft nicht in eine Rezession gerät, ist aber eine Abschwächung am hiesigen Immobilienmarkt viel wahrscheinlicher als eine Korrektur."