Freischreiben

Kurzgeschichte: "Unberechenbar"

Diese Kurzgeschichte hat Freischreiben-Autorin Annalena Leitermann geschrieben.


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Die Kurzgeschichte dreht sich um einen Pechvogel.

Mein Leben war bis dato geprägt vom Versuchen und vom Scheitern. Grundsätzlich versuche, ich alles zu geben, falle aber stets tief. Manche würden sagen, ich sei ein „Tollpatsch“, andere wiederum meinen es sei „Zufall“. Für mich steht fest, das Schicksal will, dass ich an allem und bei jedem kläglich scheitere.

Zu meiner Vorstellung: Ich bin Frank, stehe jeden Morgen mit einem Lächeln im Gesicht auf, benötige aber dennoch zwei Tassen Kaffee, um meinen innerlichen Antrieb zu finden. Ich wohne in einer kleinen Wohnung am Stadtrand. Es ist eine eher ländliche Gegend, jeder grüßt sich und jeder kennt sich. Ich bin der festen Überzeugung, dass das Großmütterchen von nebenan meinen Tagesplan besser kennt als ich selbst.

Auch der Verkehr hält sich in Grenzen, man kommt ohne Probleme von A nach B und auch so kann man das Abendrot ohne viel Lärm auf dem Balkon genießen. Vorausgesetzt, ein Vogel erleichtert sich nicht auf meinen Kopf. Passiert mir ziemlich oft. Näheres will ich gar nicht ausführen.

Heute ist Montag, grundsätzlich ein ziemlich schlechter Tag für mich. Die Arbeitswoche startet, alles Mögliche kann schiefgehen. Ab und zu denke ich mir, ich sollte nicht allzu negativ an den Tag rangehen, aber die bloße Tatsache, dass ich mitten bei der Autofahrt Richtung Arbeit eine Reifenpanne erleide, lässt meinen Tag schon wieder gut starten. Da habe ich auch bei zwei Tassen Kaffee keine Glücksgefühle mehr übrig.

Gut, dass ich – ausgelöst durch meine negative Ereignisspirale der vergangenen Jahre – mein Auto mit dem entsprechenden Werkzeug ausgestattet habe, um die Panne zu beheben. Weiter geht’s. Ich bin gespannt, was der Tag noch alles parat hat, um mich aus den Fugen zu bringen. Auch wenn man meint, man hat schon alles erlebt, lerne ich jeden Tag etwas Neues dazu.

Letzte Woche wollte ich Richtung Hausmeisterbüro gehen, dann bin ich plötzlich umgeknickt. Mein rechter Knöchel hat es mir mit Schmerzen gedankt. Wer schafft es, schon aus dem Stegreif umzufallen? Da muss man einfach ein Naturtalent sein.

Nun gut, endlich bin ich am Eingang meiner Arbeitsstätte angelangt. Ich arbeite im Büro eines Spediteurs. Leider wird mir heute der Zugang verwehrt. Wenn ich meinen Chip an das Terminal halte, leuchtet es rot. Gut, dass hinter mir eine Kollegin erscheint, bei dem der Chip funktioniert, sodass ich Eintritt erhalte.

Ich begebe mich zur Abteilung im Haus, die sich um die Einrichtung der Zeit-Chips kümmert. Seit über 20 Jahren arbeite ich bereits bei dieser Firma, seitdem hat sich bei mir nichts geändert. Aber es passiert mir ab und zu, dass mein Chip einfach nicht mehr möchte. Ich habe ihn schon mehrmals gewechselt, aber daran liegt es nicht. Mehr Gedanken mache ich mir dazu nicht mehr.

Wenn ich über die nervigen und negativen Vorfälle allzu viel nachdenke, verfalle ich in ein immerwährendes schlechtes Denkmuster. Lieber bleibe ich gleichgültig, einfach neutral. Man muss den Herausforderungen im Leben begegnen, man kann sie höchstens ausbremsen, aber aus bleiben sie nie.

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Der Kaffee landet auf der Tastatur, alles schon vorgekommen.

An meinem Büroarbeitsplatz angekommen, stelle ich meine Tasche unter den Schreibtisch und schalte den PC ein. Wider Erwarten verläuft alles reibungslos. Allzu sehr freue ich mich nicht darüber, ansonsten erwarten mich nur zehn verwirrte Blicke meiner Arbeitskollegen im Großraumbüro.

Lisa, eine Arbeitskollegin, kommt mit einer Kaffeetasse in der Hand vorbei und fragt mich nach meinem Befinden. Argwöhnisch schaue ich die Tasse an, hoffentlich fällt sie nicht über meine Büroausstattung, sonst ist mein PC auch noch kaputt. Das hätte mir gerade noch gefehlt. Höflich antworte ich ihr, dass es mir gut gehe. Um die Floskel weiterzugeben, erwidere ich die Frage.

Dann holt sie aus. Erzählt mir von ihren Tieren, die alles Mögliche anstellen, nur das nicht, was sie sollen. Ein Hund taucht sein ganzes Gesicht in die Wasserschüssel und schüttelt es dann im Wohnzimmer aus. Ihre zwei Katzen bringen jeden Blumentopf zum Fliegen und auch sonst herrscht das gewohnte Durcheinander.

Nach dem gut fünfminütigen Plausch geht es wieder an die Arbeit, mein PC ist heil geblieben. Ich kann mein Glück kaum glauben. Vielleicht ist das der Anfang einer Glückssträhne nach meiner bisherigen immer weilenden Pechsträhne. Das könnte ich echt mal brauchen.

Als ich mich mittags von meinem Platz erhebe, knicke ich weder um, noch veranlasse ich eine unglückliche Kettenreaktion. Läuft gut. Das zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht, so sehr freue ich mich. Die Kollegin neben mir sieht mich an, als wäre ich irre geworden. Ich denke, sie hat mich noch nie lächeln sehen.

In der Kantine bekomme ich heute die eine von drei Optionen, die mir am besten zusagt. Das war bis dato noch nie der Fall. Entweder sie wurde gerade nachgekocht, sie war aus oder es gab eine kurzfristige Planänderung in der Auswahl. Ja, so kann es weitergehen.

Auch der Nachmittag und die Heimfahrt verlaufen ereignislos. Es tut gut, nicht mit dem Schlimmsten rechnen zu müssen. Innerlich steigt aber die Panik, dass heute eher die Ausnahme bleibt. Die Reifenpanne heute früh zeugt davon.

Wider Erwarten bleibt es dabei, dass mir das Leben Gutes schenkt. Gelegentlich passieren mir Zwischenfälle, dennoch hält es sich im normalen Rahmen. Mein Leben geht aufwärts. Es würde mich brennend interessieren, was meine Aufwärtsspirale veranlasst hat. Es ist nichts Ausschlaggebendes passiert. Trotzdem trauere ich meinem alten Leben nicht nach. Ich bin froh, dass es mir jetzt so gut geht.

So oder so, das Leben macht, was es will. Man kann noch so viel befürchten, planen, wünschen oder hoffen, es läuft selten nach den eigenen zugrunde gelegten Vorstellungen. Man muss sich den Ereignissen stellen. Die schlechten Tage gehen vorüber, die guten Tage soll man bewahren.