Vivienne Villain und Janisha Jones
Drag Queens im Interview: "Drag erlaubt, man selbst zu sein"
9. Juli 2019, 12:50 Uhr aktualisiert am 9. Juli 2019, 12:50 Uhr
Die Münchner Queens Vivienne Villain und Janisha Jones sprechen im AZ-Interview über ihre Kunst und die Kraft, die sie geben kann.
Zur Pride Week berichtet die AZ über Menschen aus der Szene: Wie sich sich engagieren. Die Drag-Künstlerinnen Vivienne Villain und Janisha Jones mischen das queere Münchner Nachtleben auf.
AZ: Wenn man Sie beide sieht, fällt als erstes auf: Ihr Stil ist krass unterschiedlich. Was steckt dahinter?
VIVIENNE VILLAIN: Mein Name Vivienne lehnt sich an eine Hohepriesterin aus dem Roman "Die Nebel von Avalon" an. Mein Stil ist einerseits das, was man "polished" nennt, also sehr auf Schönheit ausgerichtet - aber dann immer mit dem Bösewicht-Charakter drin - darum heiße ich Vivienne Villain. Das Zweite ist das Überzogene - ich habe diese absolut übertriebene Sanduhren-Figur. Das Extreme zeigt: Es geht nicht darum eine Frau nachzustellen, sondern eine Karikatur aus einem bestimmten Frauenbild zu machen.
JANISHA JONES: Mein Drag ist nicht auf Schönheit aus, sondern krasser und aggressiver. Der Stil ist nicht so weiblich, sondern irgendwo zwischen männlich und weiblich. Mein Name kommt von Grace Jones, die ist auch so genderfluid. Mir gefällt das, so extrem zu sein - Janisha ist ein wenig außerirdisch. Ich mag die Provokation - im Club werde ich manchmal gefragt, ob es mir gut geht, weil ich mit meinem Make-up so angepisst aussehe. (lacht)
Warum machen Sie Drag?
JANISHA: Zum Drag hat mich Michel Williamsson inspiriert, das ist ein Balletttänzer. Wenn er sich bewegt - und er tanzt als Mann - dann sieht er aus wie eine schöne Frau. Das hat mich total begeistert. Drag ist meine Möglichkeit, meine Kunst zu zeigen und mich kreativ auszuleben. Und niemand kann mich verurteilen.
VIVIENNE: Abgesehen davon, dass man in Drag eine Figur spielt, kann man auf der Bühne eine völlig unverfälschte Version von sich selbst zeigen. Es ist ein Paradox: Die Maske erlaubt, dass man sich überhaupt nicht mehr anpassen muss und vollkommen sein Selbst zeigt.
"Ich blute am Ende nicht aus Spaß"
Was ist Drag für Sie und wie kann man es von Travestiekunst oder Trans* abgrenzen?
VIVIENNE: Drag ist eine künstlerische Ausdrucksform, es hat nichts mit Geschlechteridentität oder einem sexuellen Fetisch zu tun. Außerdem geht es darum, sich immer wieder neu zu erfinden und Kinnladen auf den Boden fallenzulassen. Travestie findet rein auf einer Bühne statt, Drag eher im Nachtleben. Es gibt diese Unterteilung aber nur in Deutschland, die Zielgruppe ist einfach eine etwas andere. Trans* ist etwas ganz anderes, dabei geht es darum, dass man sich im falschen Körper fühlt. Obwohl natürlich manche über Drag ihre Transidentität entdecken.
Sind Sie als Drag Queens politisch?
JANISHA: Ich mache das nicht aus politischer Motivation, aber ich finde, Drag ist automatisch politisch.
VIVIENNE: Einerseits versucht man, auf der Bühne so unpolitisch wie möglich zu sein, Probleme vergessen zu lassen, einfach zu unterhalten. Als Mann in Perücke und High Heels ist man aber bei den bestehenden, strikten Geschlechterrollen in sich schon politisch. Schon wenn ich beim CSD in Drag nach meiner Meinung zu bestimmten Themen gefragt werde, ist das ein politischer Akt.
Stichwort CSD: Manche Stimmen sagen, dass der ohne die schrillen Drag-Queens vorneweg ernster genommen würde.
VIVIENNE: Gesellschaftliche Konformität hat uns noch nie irgendwohin gebracht. Die ersten, die bei Stonewall aufgestanden sind und sich gewehrt haben, waren Drag Queens. Wenn jemand meint, das würde ein schlechtes Bild auf die Community werfen, dann sage ich: Nein, ihr profitiert davon, dass wir keine Angst haben. Die meisten von uns haben erlebt, dass wir ausgegrenzt oder geschlagen wurden, weil man uns angesehen hat, dass wir anders waren. Die Lösung ist nicht, dass man dem nachgibt.
JANISHA: Ich finde es schade, wenn Drag Queens beim CSD als lächerlich gelten oder als Clowns gesehen werden. Ich bin letztes Jahr beim CSD die ganze Parade lang auf 17-Zentimeter-Absätzen gelaufen - das mache ich bestimmt nicht aus Blödsinn, das ist ein politisches Statement. Ich blute am Ende nicht aus Spaß.
Was ist 2019, nach 40 Jahren, die Botschaft vom CSD?
VIVIENNE: Für uns ist es bis heute nicht möglich, unsere Verliebtheit zu zeigen, ohne Angst vor verbalen oder körperlichen Angriffen haben zu müssen. Ein Kurzfilm hat gezeigt, wie händchenhaltende schwule Paare in der Öffentlichkeit sofort loslassen, wenn jemand hinschaut.
JANISHA: Es wurde viel erreicht, aber trotzdem war ich in diesem Jahr mit meinem Freund unterwegs und wurde als Schwuchtel beleidigt. Manche wissen immer noch nicht, dass schwul zu sein okay ist, auch wenn wir politisch schon einiges erreicht haben. Und jetzt geht es auch viel um die Normalisierung von Transidentität und die Akzeptanz und den Respekt vor Trans*-Menschen. Das versteht selbst die schwule Community oft nicht.
"Janisha ist sehr, sehr laut - und es gibt negative Reaktionen"
Ihr Drag hat also auch innerhalb der LGBTI*-Community eine Botschaft?
JANIHSA: Ein Freund von mir, der sehr feminin ist, wurde im Schwulenclub schon blöd angemacht, er solle nicht so tuntig sein. Oder wir hören: Seid doch mal männlicher. Und es gibt auf jeden Fall Trans*-Phobie. Ich habe meine Person als Mann nie von der Drag Queen getrennt und höre oft die Frage, was das soll und warum ich das überhaupt mache. Normalerweise ist die Szene positiv, aber man sieht es schon in vielen Blicken, dass manche denken: Was macht die Alte hier? Ich arbeite auch in einem Hetero-Club und habe manchmal das Gefühl, da werde ich mehr gefeiert. Außer wenn manche Frauen böse werden, weil ihr Freund mir auf den Arsch schaut. (lacht) Ich bin schon als Mann laut, aber Janisha ist sehr sehr laut - und es gibt negative Reaktionen.
Vivienne, Sie bleiben inkognito. Hat das auch damit zu tun?
VIVIENNE: Es ist zwar auch in meinem BWL-Berufsfeld besser, das zu trennen. Ich will aber auch einfach den Backlash aus der Szene nicht erleben, wenn meine private Identität mit der Drag-Figur identifiziert wird. Ich will privat in den Club gehen können, ohne dass die Leute in der Ecke stehen und tuscheln, was ich da mache. So schütze ich dann auch meine Drag-Figur. Und wir sind in der Szene prominent, da ist es schön, unerkannt auf die Straße gehen zu können.
Woher kommen die Vorbehalte aus der Szene?
VIVIENNE: In der LGBTI*-Szene sind wir gezwungen, uns damit zu beschäftigen, wer wir sind und das befreit. Ich glaube, schon bei Homophobie geht es viel um Neid, wie viel sich die andere Person herausnimmt, sich auszuleben. Diesen Effekt gibt es auch in der Community gegenüber Drag Queens, weil manche sich immer noch Gedanken machen, ob sie okay sind, wie sie sind.
"Sich zu etablieren ist sehr harte Arbeit"
Wie waren die Reaktionen in Ihrer Familie?
JANISHA: Ich habe sehr viel Glück, weil meine Familie mich immer akzeptiert hat. Als meine Eltern mich hier in München besucht haben und ich ihnen erzählt habe, dass ich Drag mache, wollte mein Vater als erstes meine Schuhe ausprobieren. Er ist dann in 23-cm-Absätzen durch die Wohnung gelaufen. Und meine Mutter war bei meinen Auftritten im Café Nil, im Garry Klein und im Call Me Drella dabei. Andere haben da weniger Glück. Darum fahre ich auch gerne mit der U-Bahn zu Shows: Damit Leute das sehen und es normaler wird - die persönliche Begegnung macht einen Unterschied, dass Leute sehen: Das ist eine normale Person, nur mit einer riesigen Perücke.
VIVIENNE: Ich habe weniger Glück. Schon mein Outing ist eher toleriert als akzeptiert. Und bezüglich Drag haben meine Eltern auch Angst, dass ich vielleicht trans* bin und außerdem glauben sie nicht, dass es irgendwohin führt. Sie verstehen nicht so, dass das nicht irgendein Hobby oder eine Phase ist, sondern alles, worum es mir im Leben geht. Ich finde es wichtig, dass man weiß, wer der andere wirklich ist und darum gehe ich der Familie gegenüber offen damit um.
Wie würden Sie die Drag-Szene in München beschreiben?
VIVIENNE: Es gibt wenig, obwohl das Interesse stark gestiegen ist, seit es RuPaul's Drag Race auf Netflix gibt (eine Art Germany's Next Topmodel für Drag Queens, Anm. d. Red.).
JANISHA: Leider ist die Drag-Szene in München trotzdem noch sehr klein. Der Vorteil ist, dass dadurch jeder so seine Nische hat und seinen eigenen Stil. Jeder hat sein Ding.
VIVIENNE: Andererseits ist unser Problem, dass es zwar wenig Angebot, aber auch wenig Nachfrage von den Clubs gibt. Es wird nicht einfach anerkannt, wenn man etwas gut macht und viel Fleiß zeigt. Sich hier zu etablieren und Geld zu verdienen, ist harte Arbeit und erfordert viel Glück. Es wäre schön, wenn Clubs mehr Drag Queens engagieren würden.
JANISHA: Es wäre toll, wenn Veranstalter und Clubbesitzer bei neuen Partyreihen noch mehr mit Drag Queens planen würden. Wir machen Stimmung und bringen die Leute auf die Tanzfläche - und das bringt auch Umsatz.
Gab es denkwürdige Erlebnisse für Sie in Drag?
JANISHA: Ich war mal mit einer Freundin, die eine Transfrau ist, auf dem Weg zum Club an der U-Bahn und eine Frau ist uns gefolgt. Als sie dann näher gekommen ist, hat sie zu meiner Freundin gesagt: "Oh, du bist so hübsch." Und dann hat sie mich angeschaut und gesagt: "Du musst mit deinem Make-up noch üben, das sieht nicht so hübsch aus." (lacht)
VIVIENNE: Ich hatte ein sehr ergreifendes Erlebnis nach einer Show. Ein Junge kam den Tränen nahe zu mir und hat erzählt, dass seine Eltern ihn gerade verstoßen hätten, als er sich geoutet habe. Und ich wäre so ein großes Vorbild, weil er sich nur wünsche, dass er auch irgendwann mal so selbstbewusst sein wird. Das sind diese Momente: Wir realisieren sonst oft gar nicht, wie viele Emotionen wir bewegen und was wir bewirken.
JANISHA: In solchen Momenten will man einfach weinen, aber vor Glück. Natürlich hat man schlimme Erlebnisse und es gibt Anfeindungen. Aber dann gibt es diese Momente der reinen Freude, und das ist das Schöne an Drag.
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