Täter wollte Synagoge stürmen
Zwei Tote in Halle: Motiv wohl Rechtsextremismus
9. Oktober 2019, 13:20 Uhr aktualisiert am 9. Oktober 2019, 19:24 Uhr
Stunden der Angst in Halle: Ein Schwerbewaffneter will eine Synagoge stürmen und scheitert. Kurz danach werden zwei Menschen vor der Synagoge und in einem Döner-Imbiss erschossen.
Bei Angriffen mitten in Halle/Saale sind vor einer Synagoge und in einem Döner-Imbiss zwei Menschen erschossen worden. Die jüdische Gemeinde entging unmittelbar vorher womöglich einer Katastrophe. Ein Täter mit Stahlhelm und Stiefeln versuchte Mittwochmittag die Synagoge mit Waffengewalt zu stürmen, scheiterte jedoch, wie die Deutsche Presse-Agentur aus Sicherheitskreisen erfuhr. In dem Gotteshaus feierten zu dem Zeitpunkt 70 bis 80 Menschen den höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur.
Die Stadt Halle sprach am frühen Nachmittag von einer "Amoklage". Die Polizei hatte zuvor mitgeteilt, mehrere bewaffnete Täter seien mit einem Auto auf der Flucht. Fotos und Videos, die von Medien veröffentlicht wurden, zeigten aber nur einen maskierten Schützen. Auch Augenzeugen sprachen nur von einem Täter. Am frühen Nachmittag meldete die Polizei die Festnahme einer Person. Aus Sicherheitskreisen hieß es am Abend, es deute nun doch alles auf einen Einzeltäter hin.
Der Generalbundesanwalt zog die Ermittlungen an sich - wegen Mordes von besonderer Bedeutung. Ob es sich um eine antisemitische Tat handelt, sei noch unklar, sagte ein Sprecher in Karlsruhe. Die Stadt rief die Menschen am frühen Nachmittag überall in Halle dazu auf, in Sicherheit in Gebäuden zu bleiben. Die Polizei gab erst am Abend gegen 18.15 Uhr Entwarnung. "Sie können wieder auf die Straße, die Warnungen sind aufgehoben", twitterte die Polizei. Die Gefährdungslage werde nicht mehr als akut eingestuft.
Bei dem Angriff auf die Synagoge legte der Täter auch selbstgebastelte Sprengsätze vor dem Gotteshaus ab. Es seien dabei mehrere Schüsse gefallen. Ein weibliches Opfer sei vor der Synagoge von den tödlichen Schüssen getroffen worden, erfuhr die dpa weiter. Ob sie ein Zufallsopfer sei, sei unklar. Außerdem habe es einen männlichen Toten im oder an einem Döner-Imbiss gegeben.
Nach Angaben des Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Halle, Max Privorozki, richtete sich der Angriff der Täter direkt gegen die Synagoge. "Wir haben über die Kamera unserer Synagoge gesehen, dass ein schwer bewaffneter Täter mit Stahlhelm und Gewehr versucht hat, unsere Türen aufzuschießen", sagte Privorozki der "Stuttgarter Zeitung" und den "Stuttgarter Nachrichten". "Aber unsere Türen haben gehalten." Der oder die Täter hätten außerdem versucht, das Tor des danebenliegenden jüdischen Friedhofs aufzuschießen, sagte der Vorsitzende.
Levi Salomon vom Jüdischen Forum für Demokratie und gegen Antisemitsmus bestätigte der dpa nach einem Telefonat mit Privorotzki, der maskierte Täter habe gegen die Tür geschossen, dabei aber nicht in die Synagoge eindringen können. Rund 20 Menschen seien am Nachmittag noch in der Synagoge verschanzt gewesen, darunter auch mehrere Gäste aus den USA. Laut Salomon wurden auch Flaschen mit Flüssigkeit geworfen. Eine habe die Sukka (Laubhütte), eine andere den Jüdischen Friedhof in unmittelbarer Nähe und eine den Hof der Synagoge getroffen. Nur die Flasche gegen den Friedhof habe sich entzündet.
Etwa 30 Meter vor der Synagoge lag ein Todesopfer auf einer Straße mit einer blauen Decke bedeckt gegenüber der Synagoge, wie ein dpa-Reporter berichtete. Zudem soll nach Augenzeugenberichten ein Täter in einem Kampfanzug mit einem Gewehr in einen Döner-Laden geschossen und einen Besucher getötet haben.
Es gab mindestens zwei weitere Verletzte. Sie wurden in das Universitätsklinikum Halle gebracht. "Ein Patient hat Schussverletzungen und wird gerade operiert", sagte ein Kliniksprecher.
Die "Mitteldeutsche Zeitung" aus Halle zeigte ein Foto, auf dem ein dunkel gekleideter Mann mit Helm und Stiefeln zu sehen ist, der ein Gewehr im Anschlag hat. Der MDR zeigte ein Video, auf dem womöglich derselbe Mann aus einem Auto aussteigt und mehrfach seine Waffe abfeuert.
Auch in Landsberg, rund 15 Kilometer östlich von Halle, gab es Schüsse, bestätigte eine Polizeisprecherin in Halle. Menschen sollen auch hier Gebäude und Wohnungen nicht verlassen, hieß es. Die Zufahrt zu dem Ortsteil Wiedersdorf war abgesperrt. Mehrere Mannschaftswagen der Polizei, darunter auch Fahrzeuge aus Sachsen, waren vor Ort. Auch zwei Krankenwagen waren zu sehen. Am Mittwochnachmittag gegen 16.00 Uhr landete auf einem Feld bei Wiedersdorf nach Angaben eines dpa-Reporters zudem ein Hubschrauber der Bundespolizei. Angaben zu den Hintergründen machte die Polizei nicht.
Die Stadt Halle hatte einen Krisenstab einberufen. Alle Rettungskräfte der Feuerwehr waren in Alarmbereitschaft versetzt worden. Die Polizei hatte seit den Mittagsstunden alle verfügbaren Kräfte in Sachsen-Anhalt abgezogen und sie nach Halle verlegt.
Im benachbarten Leipzig hatte die Polizei ihre Kräfte vor der Synagoge verstärkt. Auch in anderen deutschen Städten wurde der Schutz von Synagogen verstärkt.
Der Bahnhof von Halle war wegen polizeilicher Ermittlungen gesperrt. Es kam zu Verspätungen. Die Bundespolizei verstärkte ihre Kontrollen an Bahnhöfen und Flughäfen in Mitteldeutschland. Das gelte auch für die Verkehrswege nach Polen und Tschechien, hieß es.
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) zeigte sich entsetzt über die Tat. "Es wurden durch sie nicht nur Menschen aus unserer Mitte gerissen, sie ist auch ein feiger Anschlag auf das friedliche Zusammenleben in unserem Land."
Regierungssprecher Steffen Seibert sagte in Berlin, die Bundesregierung hoffe, dass der Täter oder die Täter schnell gefasst würden. Die Gedanken gingen "an die Freunde und die Familien der Todesopfer", sagte er.
Aus dem Ausland kamen ebenfalls bestürzte Reaktionen. Das Europaparlament legte eine Schweigeminute für die Opfer ein. In Gedanken sei man bei Deutschland, der deutschen Polizei und bei der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, sagte Parlamentspräsident David Sassoli.
Auch UN-Generalsekretär António Guterres bewerte den Vorfall als "eine weitere tragische Demonstration von Antisemitismus", teilte ein UN-Sprecher in New York mit.
AfD-Fraktionschefin Alice Weidel twitterte: "Meine Gedanken sind bei den Opfern und ihren Familien. Ich hoffe, die Polizei fasst den oder die Täter schnell, ohne dass weitere Menschen zu Schaden kommen."