Bayern

Virtueller Nummernschild-Diebstahl: Münchner soll Tausende Euro zahlen

Ein Münchner erhält seit über einem Jahr immer wieder Strafzettel, für Tempoverstöße, die er nicht begangen hat. Ein besonders dreister Fall von Identitätsdiebstahl. Rund 7.000 Euro soll der Angestellte bezahlen.


Martin K. an seinem Kombi. Seit ein paar Tagen hat der Dacia Logan neue Kennzeichen. Die alte Nummer hat jemand kopiert und begeht damit immer wieder Verkehrsverstöße, für die der Münchner zahlen soll.

Martin K. an seinem Kombi. Seit ein paar Tagen hat der Dacia Logan neue Kennzeichen. Die alte Nummer hat jemand kopiert und begeht damit immer wieder Verkehrsverstöße, für die der Münchner zahlen soll.

Von Ralph Hub

Eigentlich ist Martin K. ein ruhiger und ausgeglichener Mensch. Doch an manchen Tagen, wenn er in seinen Postkasten schaut, schnellt bei ihm automatisch der Blutdruck hoch. Denn regelmäßig flattern ihm Briefe ins Haus, mit Forderungen für Verkehrsverstöße, die der 55-Jährige nicht begangen hat. Der Angestellte aus München ist Opfer eines dreisten Identitätsdiebstahls.

Der Ärger ging vor gut einem Jahr los, da bekam er den ersten Strafzettel. Am 30. Januar 2022 war angeblich sein Auto in Frankreich in der Nähe von Paris geblitzt worden. Sein Kennzeichen, aber eben nicht sein Auto. Auch war es nicht Martin K., der am Steuer saß. "Ich war zu der Zeit nicht in Frankreich, sondern arbeiten", beteuert er.

Eine Zahlungsaufforderung vom Juni 2022. Geblitzt wurde ein Mini, der das Kennzeichen des Autos von Martin K. trägt.

Eine Zahlungsaufforderung vom Juni 2022. Geblitzt wurde ein Mini, der das Kennzeichen des Autos von Martin K. trägt.


Weil er den Strafzettel nicht bezahlte, kam der Verkehrsverstoß am 20. Februar 2022 zur Anzeige. "Ich hätte die Strecke Paris-München in der Zeit niemals schaffen können, nicht mit meinem Auto, das hat die Polizei in München nachgerechnet", sagt der 55-Jährige.

Doch trotzdem wollten französische Behörden bei ihm das Bußgeld eintreiben. Er legte Widerspruch ein, daraufhin wurde "das Verfahren am 3. März letzten Jahres von der Staatsanwaltschaft eingestellt", bestätigt Oberstaatsanwältin Anne Leiding, Sprecherin der zuständigen Staatsanwaltschaft München I. Damit hätte die Angelegenheit eigentlich erledigt sein sollen, möchte man meinen. Weit gefehlt. Im Sommer vergangenen Jahres bekam Martin K. wieder eine Anzeige samt Zahlungsaufforderung. Wieder ging es um eine Geschwindigkeitsüberschreitung.


Der Münchner wurde wieder angezeigt. Am 9. September wurde auch dieses Verfahren schließlich von der Staatsanwaltschaft eingestellt. "In beiden Verfahren gab Herr K. an, dass er selbst nicht gefahren sei", sagt Oberstaatsanwältin Anne Leiding. "Die Verfahren wurden gegen unbekannte Täter geführt, die Täter konnten nicht ermittelt werden." Das ist bis heute so geblieben. Der unbekannte Raser ist wie ein Phantom, einfach nicht zu fassen.

Der- oder diejenige fährt vermutlich noch immer mit den kopierten Kennzeichen herum. Den letzten Strafzettel bekam Martin K. im Januar dieses Jahres. Insgesamt sind es bisher zwölf Geschwindigkeitsverstöße und drei Fälle von Mautprellerei, für die der Münchner bezahlen soll.

Der Knöllchen-Terror geht munter weiter. Der Papierkrieg füllt inzwischen einen dicken Aktenordner. Seit einem Jahr erhält der Münchner nun schon fremder Leute Strafzettel.

Die Zahlungsaufforderungen stammen aus Frankreich und Großbritannien. Auf geschätzt rund 7000 Euro summieren sich Bußgelder samt Bearbeitungs- und Mahngebühren. Martin K. hat deshalb einen Anwalt eingeschaltet, denn inzwischen bekommt er auch Mahnungen von Inkassobüros.

Schlimmer noch. "Wenn ich mit dem Auto in die betreffenden Länder fahren würde, droht mir da eine Menge Ärger", sagt der Münchner. "Die verpassen meinem Auto eine Parkkralle und ich werde eingesperrt, bis ich bezahlt habe."

Der Münchner ist offenbar Opfer eines Identitätsdiebstahls geworden. Jemand hat seine Auto-Kennzeichen kopiert. Das belegen etliche Blitzer-Fotos, die dem Münchner samt den Zahlungsaufforderungen in den vergangenen 14 Monaten zugeschickt wurden. Auf manchen ist ein roter Mini zu sehen.


Der Kennzeichendieb hat praktisch einen Freibrief. Er kann aufs Gas treten, so fest er will, wo er will, wann er will, er kann falsch parken, Mautgebühren nicht bezahlen - die Rechnungen bekam bisher immer Martin K. in München zugeschickt.

Dabei fährt der Angestellte gar keinen Mini, sondern einen Dacia Logan. Auf den ist das Kennzeichen bei der Münchner Zulassungsstelle registriert. "Ich habe nie im Leben einen roten Mini besessen", sagt Martin K.. Doch das wissen die Behörden im Ausland natürlich nicht. Ihnen geht stattdessen immer wieder ein Mini mit Münchner Nummer ins Netz.

Jedes Mal muss Martin K. dann schriftlich den jeweiligen Stellen mitteilen, dass es zwar sein Autokennzeichen, aber nicht sein Wagen und er auch nicht der gesuchte Fahrer sei.


Wie der oder die Täterin an die Nummernschilder gekommen ist, ist unklar. Es könnte ein Zufallstreffer sein. Martin K. vermutet, dass jemand über das Internet auf sein Kennzeichen gestoßen ist. "Es gibt Webcams, über die kann man weltweit belebte Straßenkreuzungen beobachten, vielleicht ist dabei jemandem mein Kennzeichen aufgefallen", so der Münchner.

Martin K. hat Anzeige gegen unbekannt erstattet. Die Kennzeichen sind "europaweit zur Sachfahndung ausgeschrieben", teilte ihm ein Beamter der PI 29 (Forstenried) mit. "Sobald ein Pkw mit diesen Kennzeichen kontrolliert, geblitzt oder sonst wie aufgehalten wird, ist dies sofort ersichtlich und kann entsprechend verfolgt werden", so der Beamte. Zudem seien die Kennzeichen gesperrt und nicht mehr vergeben.

Solange kann das Phantom im Mini weiter herumrasen. Martin K. hat seit ein paar Tagen neue Kennzeichen. Damit, so hofft der 55-Jährige, hat der Spuk hoffentlich ein Ende.