Prozess
Verteidiger: Schwere Rechtsstaatsverstöße bei Wirecard-Ermittlungen
12. Dezember 2022, 13:16 Uhr aktualisiert am 3. April 2023, 21:03 Uhr
Der spektakuläre Zusammebruch des Zahlungsunternehmens Wirecard wird in München strafrechtlich aufgearbeitet. Vor Gericht steht unter anderen Ex-Konzernchef Braun. Dessen Verteidiger macht der Staatsanwaltschaft schwere Vorwürfe.
Im Wirecard-Prozess wirft die Verteidigung des angeklagten Ex-Vorstandschefs Markus Braun der Staatsanwaltschaft Ermittlungsfehler und gravierende Rechtsstaatsverstöße vor. Anwalt Alfred Dierlamm beantragte am Montag vor dem Landgericht München I die Aussetzung des Verfahrens. Der Verteidiger beschuldigte den als Kronzeugen der Staatsanwaltschaft dienenden Mitangeklagten Oliver Bellenhaus als Haupttäter und attackierte ihn als unglaubwürdig. Die vierte Strafkammer ließ offen, wann sie über eine Aussetzung des Verfahrens entscheiden wird.
Eine ordnungsgemäße Durchführung der Hauptverhandlung sei nicht möglich, begründete der Verteidiger seinen Antrag. Dierlamm warf der Staatsanwaltschaft vor, trotz zahlreicher Aufforderungen die Zahlungsflüsse bei Wirecard nicht überprüft zu haben. "Die wesentlichen strukturellen Elemente der Tat- und Bandenstruktur sind im Ermittlungsverfahren nicht ansatzweise aufgeklärt worden", sagte Dierlamm, und sprach von "gravierenden Verstößen gegen das Rechtsstaatsprinzip".
Der Verteidiger hielt der Staatsanwaltschaft vor, die Anklage auf Bellenhaus gestützt und der Verteidigung wesentliche Unterlagen vorenthalten zu haben. "Das Verfahren leidet an einem schweren Geburtsfehler." Als letzten Punkt warf Dierlamm der Anklagebehörde vor, kurz vor Beginn der Hauptverhandlung noch immense Mengen an Akten an die Anwälte geschickt zu haben. Allein am 7. November seien es 128 Aktenbände gewesen. "Vier Wochen vor der Hauptverhandlung 44 000 neue Aktenseiten."
Braun ist gemeinsam mit Bellenhaus und dem früheren Wirecard-Chefbuchhalter angeklagt, mit Hilfe erfundener Geschäfte Banken und andere Kreditgeber um mehr als drei Milliarden Euro geprellt zu haben. Der Ex-Vorstandschef sieht sich nach eigener Darstellung als Opfer, seinerseits geprellt von Kriminellen im Unternehmen.
Der Prozess begann in der vergangenen Woche. Das Gericht hat gut 100 Prozesstage angesetzt. Das Verfahren wird voraussichtlich bis 2024 dauern.