Interview
Professor Bargende: „Erdgas fahren ist leider nicht sexy“
19. Oktober 2019, 7:00 Uhr aktualisiert am 19. Oktober 2019, 7:00 Uhr
Ende der 90er Jahre als Kraftstoff der Zukunft gepriesen, scheint komprimiertes Erdgas (CNG) heute fast vor dem Aus zu stehen. Das Tankstellennetz für CNG wird immer grobmaschiger. Was sind die Auswege aus der Misere?
Die letzte CNG-Zapfsäule im Landkreis Cham ist seit einigen Wochen Geschichte. Tendenz in Ostbayern insgesamt ähnlich. Wird CNG in Zukunft noch eine Rolle spielen? Welche Kraftstoffe sind nach der nächsten Verschärfung der CO2-Grenzwerte überhaupt noch zukunftsträchtig? Wir haben nachgefragt bei Prof. Dr. Michael Bargende, Inhaber des Lehrstuhls Fahrzeugantriebe am Institut für Verbrennungsmotoren und Kraftfahrwesen der Uni Stuttgart.
Die CNG-Zapfsäulen machen reihenweise dicht. Liegt es an technischen Problemen, dass sich die Technologie nie recht durchgesetzt hat?
Prof. Dr. Michael Bargende: Zunächst mal müssen wir unterscheiden zwischen LPG und CNG. Bei LPG handelt es sich um eine Mischung aus Butan und Propan und dieses Flüssiggas wird als Autogas bezeichnet. LPG ist ein Art Abfallprodukt der Erdölraffinerie und als solches als Kraftstoff vernünftig eingesetzt. Es würde aber keinen Sinn machen, LPG explizit herzustellen. Denn das CO2-Minderungspotenzial von LPG ist relativ gering. Interessanter ist Methan, der Hauptbestandteil von Erdgas (CNG). Es hat das günstigste Kohlenwasserstoff-Verhältnis aller kohlenstoffhaltigen Kraftstoffe. Bei gleichem Motor-Wirkungsgrad erreicht CNG eine CO2-Minderung um 23 Prozent im Vergleich zum Benziner.
Das klingt eigentlich nach einem Erfolgsprodukt. Warum hat CNG dann so zu kämpfen?
Prof. Bargende: Der Grund ist ganz einfach: Es gibt keinen Leidensdruck, CNG zu fahren. Wenn Sie ein CNG-Fahrzeug fahren, dann erfreuen Sie sich daran, dass das Auto von den Kraftstoffkosten her etwa bei der Hälfte eines Diesels liegt, durch die Steuererleichterung des CNG. Der Anteil, den aber die Kraftstoffkosten an den Gesamtkosten eines Fahrzeugs haben, liegen für den Normalbürger so, dass es sich für ihn nicht lohnt, den Mehrpreis eines CNG-Autos, das etwa 3.000 Euro über einem Benziner liegt, zu bezahlen. Sie brauchen etwa 50.000 Kilometer oder mehr, um den Mehrpreis mit dem Kraftstoff zu amortisieren. Dieser Vorteil ist offensichtlich nicht groß genug, als dass die Leute sich den Zusatzaufwand der Planung, wo die nächste Tankstelle ist zum Beispiel, antun.
Die meisten Leute - meiner Einschätzung nach - sind aber nicht mal über diese Vorteile informiert…
Prof. Bargende: Es ist einfach nicht sexy, ein Erdgas-Auto zu fahren - im Unterschied zu einem Batterie-elektrischen Auto. Letzteres nutzt dem Kunden viel weniger, aber er hat das tolle Gefühl, dass er viel für die Umwelt tut. Das wurde ihm erfolgreich eingetrichtert. Die Umweltfreundlichkeit von CNG ist bei weitem nicht so bekannt. Viele CNG-Fahrer sind deshalb Leute, die ganz klar rechnen.
Klingt nach schlechten Karten für CNG...
Prof. Bargende: Es ist ein rein rationaler und kein emotionaler Kraftstoff. Auch im Sinne der CO2-Minderung ist es rein rational. Wenn Sie ein batterieelektrisches Auto kaufen, dann haben sie, den deutschen Energiemix und die Herstellung einbezogen, lediglich eine emotionale CO2-Minderung und keine reale. Sie sparen aber mit einem CNG-Auto tatsächlich mehr CO2 als mit einem batterieelektrischen.
In der Berichterstattung wird dieser Aspekt aber selten beleuchtet. Woran liegt das?
Prof. Bargende: Das wissen und kennen wir. Wir machen alle zwei Jahre in Stuttgart und im Wechsel in Potsdam eine Tagung Gasfahrzeuge. Da beklagen wir dies alle, die in dieser Community sind, und bedauern, dass es nicht gelingt, in den Medien die Vorteile von Erdgas als Kraftstoff unterzubringen.
Alles hoffnungslos in Sachen Erdgas? Nicht ganz! Lesen Sie im zweiten Teil unseres Interviews, warum neue CO2-Grenzwerte aus Brüssel der Erdgas-Technologie doch noch einen späten Siegeszug bringen könnte.
Massenmobilität - "ein sozialpolitisches Problem"
Kein Hoffnungsschimmer, dass sich das einmal ändern könnte?
Prof. Bargende: Hoffnung gibt, dass die CO2-Grenzwerte bis 2030 so streng werden, dass man sie nur unter Ausnutzung aller CO2-Minderungsmaßnahmen erreichen kann. CNG ist dann eine hervorragende Möglichkeit dem Kunden ein Fahrzeug zu bieten, das deutlich unter 20.000 Euro kostet und nur sehr niedrige CO2-Emissionen hat. Da wird dann plötzlich Erdgas ganz furchtbar attraktiv.
Die CO2-Bilanz aber würde deutlich schlechter, wenn man das CNG extra für die Autos herstellen müsste, oder?
Prof. Bargende: Die nicht-fossile Zukunft heißt: künstliches Erdgas. Da sind wir dann wieder beim Methan. Der Fachbegriff heißt: Substitute Natural Gas, SNG. Gemeint ist die Herstellung von Methan aus überschüssigem regenerativem Strom. Zum Beispiel, wenn der Wind stark weht und der erzeugte elektrische Strom nicht verbraucht werden kann, produziert man damit künstliches Erdgas und speist es ins Erdgas-Netz ein. Das ist dann wirklich in jeder Beziehung CO2-frei. Gleiches gilt natürlich für Sonnenstunden mit überschüssiger Energie. Wenn der Wind dann einmal nicht weht und die Sonne nicht scheint - wir nennen das "Dunkelflaute" - dann kann man aus dem künstlichen Erdgas wieder Strom machen. Oder man kann es halt in Autos tun. Das ist der klare Zukunftsplan, der aber leider erst in einigen Jahren greifen wird.
Im Zuge des Ausbaus der regenerativen Energien müsste man doch dann aber gleichzeitig die Produktionsanlagen für das künstliche Erdgas schaffen, oder?
Prof. Bargende: Die Firma Audi hat eine entsprechende Versuchsanlage mit sechs Megawatt in Werlte in Niedersachsen. Dass ein Autobauer hier voran gehen muss, liegt daran, dass die Politik die Notwendigkeit der Zwischenspeicherung lange unterschätzt hat. Man glaubte, dass man Engpässe durch eine Nord-Süd-Verlagerung im Stromnetz ausgleichen, bzw. synchronisieren könnte. Das geht aber ab einem bestimmten Anteil regenerativer Energien nicht mehr, wie diverse Untersuchungen zeigen.
Interessanter Exkurs. Warum haben die Energieversorger dem nicht widersprochen?
Prof. Bargende: Die Energieversorger sind sehr vorsichtig mit entsprechenden Äußerungen, weil sie alle miteinander darum kämpfen wieder ein positives Image aufzubauen. Eines ist klar: Es ist noch ein sehr weiter Weg, bis wir unsere gesamte Energie regenerativ beziehen und ohne Zwischenspeicherung, bzw. ganz allegemein der Herstellung und des Einsatzes chemischer Energieträger - wie z.B. Methan - wird es nicht gehen.
Zurück zum Verkehr: Ist der Plugin-Hybrid dann die Lösung?
Prof. Bargende: Der Plug-In-Hybrid ist definitiv ein wichtiger Baustein, um die 2030er Grenzwerte einzuhalten. Der Plug-In-Hybrid hat nur ein Problem: Er ist nach heutigem Technikstand für deutlich unter 20.000 Euro nicht zu haben. Das ist am Ende ein sozialpolitisches Problem, bezogen auf die Massenmobilität. Das Thema wird sein: Wie halten wir die Fahrzeuge, die derzeit bei etwa 15.000 Euro und darunter liegen, im Markt? Da hilft natürlich Erdgas mit seinem niedrigen CO2-Bildungspotential enorm.