Schutzmaßnahmen für Kinder

Mehr überforderte Eltern in den Städten?


Wenn Eltern überfordert sind, muss oft das Jugendamt eingreifen. (Symbolbild)

Wenn Eltern überfordert sind, muss oft das Jugendamt eingreifen. (Symbolbild)

Mehr als 3.750 Elternpaaren in Bayern wurden im vergangenen Jahr ihre Kinder zeitweise entzogen. Das waren 4,8 Prozent weniger als im Vorjahr. Während die Zahlen für den Freistaat einen positiven Trend ausweisen, steigen die Fallzahlen in Niederbayern leicht an. Die Statistik für Ostbayern weist zudem aus, dass die Kinder, die das Jugendamt in Obhut nimmt, immer jünger werden.

In der Mehrzahl der Fälle muss das Jugendamt einschreiten, weil Eltern überfordert sind. Das gilt laut einer Aufstellung des Landesamts für Statistik und Datenverarbeitung für etwa zwei Drittel der Fälle. 626 der betroffenen Kinder wurden auf ihren eigenen Wunsch zeitweise von ihrer Familie getrennt untergebracht. Im Schnitt müssen sich die Jugendämter um mehr Jungen und männliche Jugendliche als um Mädchen kümmern. Sie machen einen Anteil von knapp 53 Prozent der Fälle aus. Das kritische Alter, in dem die Familiensituation problematisch wird, liegt zwischen 14 und 18 Jahren.

Mehr Problemfälle in den Städten

Während die Zahlen für den Freistaat insgesamt leicht rückläufig sind, hat die Anzahl der Unterbringungen in Niederbayern zugenommen. Die Zahl der vorläufigen Schutzmaßnahmen stieg von 361 auf 372 im Jahr 2019. In der Hauptsache kommt dieser Zuwachs der Fälle aus der jüngeren Altersgruppe: 213 Kinder unter 14 Jahren wurden in Niederbayern im Jahr 2019 ihren Eltern entzogen - das sind 70 mehr als im Jahr zuvor.

Der direkte Vergleich der Fälle pro 1.000 Einwohner legt nahe, dass es in der Stadt mehr Problemfamilien als auf dem Land gibt.

Der direkte Vergleich der Fälle pro 1.000 Einwohner legt nahe, dass es in der Stadt mehr Problemfamilien als auf dem Land gibt.

Ein genauerer Blick auf die Zahlen zeigt, dass mehr Problemfälle in den Städten als auf dem flachen Land gegeben sind. In den mittleren und großen Städten der Region gab es auf 1.000 Einwohner gerechnet mehr vorläufige Schutzmaßnahmen als im ländlichen Ostbayern. Die Spitzenplätze belegen Regensburg, Passau, Straubing und Landshut. In Regensburg kommen auf 1.000 Einwohner 1,3 Inobhutnamen, für Passau weisen die Statistiker einem Fall auf 1.000 Einwohner aus. Der Durchschnittswert liegt indes bei 0,3 für Niederbayern beziehungsweise rund 0,4 für die Oberpfalz. Besonders gute Werte melden die Behörden in München: Mit 0,23 vorläufigen Schutzmaßnahmen lag die Landeshauptstadt deutlich unter dem bayernweiten Durchschnitt.

Lesen Sie im zweiten Teil des Artikels, was das zuständige Ministerium zu den Zahlen sagt und wie die Verantwortlichen die Auswirkungen des Lockdowns im Zuge der Corona-Maßnahmen einschätzen.

Ein Problem in allen gesellschaftlichen Schichten

Zu einer anderen Einschätzung kommt das zuständige Ministerium: Ein "signifikanter Anstieg" der vorläufigen Schutzmaßnahmen für Kinder und Jugendliche sei in Niederbayern "nicht erkennbar", teilt das Familienministerium auf Anfrage von idowa mit. Auch ein Gefälle zwischen städtischem und ländlichem Milieu ist nach Ansicht der Behörde nicht erkennbar, ebenso ist kein Zusammenhang mit sozialen Schichten gegeben: "Einschlägige Erkenntnisse, dass Migrationshintergrund oder sozialer Status eine besondere Rolle spielen, liegen nicht vor. Kindeswohlgefährdungen sind in allen gesellschaftlichen Schichten zu finden."

Die höchsten Fallzahlen gab es in Niederbayern in den Jahren 2015 und 2016 ? damals mussten sich die Jugendämter um zahlreiche unbegleitete minderjährige Flüchtlinge kümmern.

Die höchsten Fallzahlen gab es in Niederbayern in den Jahren 2015 und 2016 – damals mussten sich die Jugendämter um zahlreiche unbegleitete minderjährige Flüchtlinge kümmern.

Das Familienministerium war die einzige staatliche Stelle, die auf unsere Anfrage zu einer Stellungnahme bereit war. Die Regierung von Niederbayern und die Verwaltung des Bezirks verwiesen zuständigkeitshalber auf den jeweils anderen.

Auswirkungen des Lockdowns noch unklar

Wie sich die Statistik weiter fortschreiben wird, ist noch unklar. Auf die Frage, ob die zuständigen Ämter die Betreuung kritischer Fälle auch in des Lockdowns zur Verfügung stellen konnten, antwortet das Familienministerium: "Soweit zur Einschätzung einer Kindeswohlgefährdung ein Hausbesuch erforderlich ist, wird dieser, angepasst an die Erfordernisse des Infektionsschutzes, auch durchgeführt."

Sozialverbände und Soziologen hatten in der Zeit des Lockdowns gewarnt, dass die Ausgangsbeschränkungen zahlreiche Familien überfordern könnten, für problembehaftete Familien auch zur Zerreißprobe werden könnte. Die bisher erhobenen Daten bestätigen das allerdings nicht - so zumindest die Sicht des Ministeriums: "Hinweise auf einen merklichen Anstieg an Gefährdungssituationen wurden bisher von der Fachpraxis nicht festgestellt", schreibt die Pressestelle auf unsere Anfrage. Gleichwohl gelte es aufgrund der aktuellen Situation einzelne "Frühwarnsysteme und Präventionsmaßnahmen anzupassen, als auch für steigende Beratungs- und Unterstützungsbedarfe sowie mögliche steigende Interventionsbedarfe zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Gewalt vorbereitet zu sein."

Als Schutzmaßnahme registrieren die zuständigen Jugendämter "die vorläufige Aufnahme und Unterbringung von Minderjährigen in einer Notsituation durch das Jugendamt". Sie sollen eine schnelle Intervention zugunsten von Minderjährigen darstellen. Oder in den Worten des Ministeriums: "Besteht eine dringende Gefahr und kann die Entscheidung des Gerichts nicht abgewartet werden, so ist das Jugendamt verpflichtet, das Kind oder den Jugendlichen in Obhut zu nehmen." Ob die Jugendämter in Zukunft noch häufiger von dieser Ausnahmeregelung Gebrauch machen müssen, ist derzeit noch unklar.