Grenzt sich von Seehofer und Söder ab
Ilse Aigner im Interview: "Ich würde manches nicht sagen"
10. August 2018, 10:06 Uhr aktualisiert am 3. April 2023, 8:01 Uhr
Bayerns stellvertretende Ministerpräsidentin Ilse Aigner distanziert sich im Interview mit der AZ München von Worten, die ihre Chefs Söder und Seehofer im Asylstreit fallenließen.
Frau Aigner, werden Sie im Herbst Bayerns erste Ministerpräsidentin?
Ilse Aigner: Das ist eine unzulässige Frage ...
... die sich angesichts der Umfragewerte durchaus stellt.
Es wäre gelogen, würde ich sagen, dass ich die Umfragen nicht beobachte. Im Moment sind die Werte nicht gut. Aber die Stimmung kann sich wieder drehen, daran arbeite ich. Ich will das bestmögliche Ergebnis für die CSU erzielen.
Stimmen die Gerüchte, dass Sie jetzt, in der heißen Wahlkampfphase, mehr Termine machen müssen als ursprünglich geplant, quasi als das nette Gesicht der CSU?
Ich kenne diese Gerüchte nicht. Aber ich habe immer gesagt, dass ich als oberbayerische CSU-Vorsitzende maßgeblich in Oberbayern unterwegs sein werde. Das ist für mich selbstverständlich.
CSU machte Druck im Asylstreit
Wie bewerten Sie die Rolle der CSU im Asylstreit?
Ich bin nach wie vor der Meinung, dass sich nur durch die CSU etwas verändert hat. Nicht nur in den letzten Wochen, sondern schon vorher. Zum Beispiel, dass die Balkanstaaten jetzt sichere Herkunftsländer sind. Und dass Angela Merkel das Thema wieder auf die Agenda der EU gesetzt hat, ist ja im Wesentlichen auf den Druck der CSU zurückzuführen. Deshalb plädiere ich dafür, dass man darstellt, was man erreicht hat.
Was wäre das noch?
Ein wichtiger Punkt geht in der Diskussion unter: Was wir an Integration in den Arbeitsmarkt in Bayern auf den Weg gebracht haben. Wir haben von 120.000 anerkannten Asylbewerbern knapp 65.000 in Arbeit gebracht. Wenn das keine Erfolgsbilanz ist! Die Zielmarke waren 60.000 bis Ende 2019. Da möchte ich mal ein anderes Bundesland sehen, das eine solche Integrationsleistung hinbekommen hat.
"Asyltourismus", würde auch Söder nicht mehr sagen
Trotzdem hat die Diskussion eine andere Richtung genommen - weil sich Ihre Parteifreunde einer extrem scharfen Sprache bedienten, von "Asyltourismus" und "Anti-Abschiebe-Industrie" gesprochen haben.
Ich würde manche Worte nicht sagen. Und Markus Söder würde es auch nicht mehr tun, was klug und richtig ist. Das kritisierte Wort "Asyltourismus" wurde schon vorher, in einem Bericht der EU-Kommission, benutzt. Darüber hat sich niemand aufgeregt. Zur Wahrheit gehört auch, dass ausgerechnet auf einer Anti-Hetze-Demo Plakate zu sehen waren, auf denen CSU-Politiker als Rassisten beschimpft wurden, als Hurensöhne. Und es wurde behauptet, die CSU wolle das Vierte Reich.
Es war keinesfalls so, dass auf dem Königsplatz nur Linksradikale demonstriert haben. Dort waren Zehntausende Menschen aus allen Bevölkerungsschichten.
Das ist mir klar. Aber stellen Sie sich mal vor, CSU-Politiker würden bei einer Demonstration mitgehen, auf der Rechtsradikale hetzen - und es würde sich niemand von deren Parolen distanzieren...
Wenn so viele Menschen auf die Straße gehen, stellt sich die Frage, ob der Wahlkampf Ihrer Partei bisher in die richtige Richtung gegangen ist.
Natürlich muss man diese Demo ernstnehmen und genau hinschauen, wo das Problem liegt.
"Frauen sind häufig empathischer"
Diese Schärfe hat die CSU vor allem bei Frauen Sympathien gekostet. Betrübt Sie das?
Frauen sind häufig empathischer, achten mehr auf Stil und Umgangsformen. Es spielt dabei auch eine Rolle, wie man mit Frauen in der Politik umgeht. Frauen sind wesentlich sensibler und reagieren entsprechend.
Wie geht man denn mit Frauen in der Politik um?
Das empfindet jede Frau anders. Manchmal wollen Männer im positiven Sinne kumpelhaft sein, was für manche Frauen wiederum kritisch ist. Mir gab Horst Seehofer mal einen Schulterklopfer - gut gelaunt nach einer Veranstaltung. Ich fand das gar nicht schlimm. Aber die "heute show" hatte ein gefundenes Fressen…
Haben es Frauen in der CSU schwerer als in anderen Parteien?
Was die Erlangung von Mandaten betrifft, schon. Das hat aber einen einfachen Grund: Wenn praktisch 100 Prozent der Abgeordneten über Direktmandate gewählt werden, spielt die Liste keine Rolle. Dann ist entscheidend, wer sich vor Ort durchsetzt. Und wenn der Frauen-Anteil bei etwa 20 Prozent liegt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine Direktkandidatin durchsetzt, einfach kleiner. Da haben wir in der Tat noch Nachholbedarf.
Entspannte Gesprächspartnerin: Ministerin Ilse Aigner (M.) mit den AZ-Redakteuren Clemens Hagen und Natalie Kettinger. Foto: Daniel von Loeper
Aigner: Bayern steht erfolgreich da
Zurück zum Umfragetief: Wie wollen Sie die Kehrtwende schaffen?
Wir rücken landespolitische Themen in den Vordergrund: Wir haben in den letzten Wochen viel geleistet und große Programme für Bayern aufgelegt. Es wird keiner bestreiten, dass unser Land wirklich erfolgreich dasteht.
Sie waren als Wirtschaftsministerin unter anderem im Iran. Wie beurteilen Sie die Wiederaufnahme der US-Sanktionen?
Die Reaktion der EU ist richtig. Es gibt einen Vertrag mit Iran, den hatte noch Frank-Walter Steinmeier ausgehandelt, und ich kann nicht feststellen, dass Teheran sich nicht daran gehalten hätte. Die Sanktionen sind ein Rückschlag.
Was halten Sie von Donald Trump?
Mir tut es in der Seele weh, wenn ich sehe, wie sich das transatlantische Verhältnis verschlechtert. Europa und die USA sind Partner, haben gemeinsam viel erreicht. Wir Deutsche haben den Amerikanern viel zu verdanken. Ein Handelskrieg hat nur Verlierer.
In Bayern fehlen Bauarbeiter
Kommen wir zu näherliegenden Problemen: den unzähligen Baustellen im Freistaat, die viele nerven, weil sie so langwierig sind. Geht das nicht schneller?
Auf den Baustellen des Freistaats, zum Beispiel auf den Autobahnen oder Staatsstraßen, wird oftmals durchgearbeitet. Das Problem ist allerdings: Es gibt nicht genügend Bauarbeiter.
Das dürfte beim Wohnungsbau nicht anders sein, oder?
Nein, da fehlen genauso Leute. Dass es so viele Baustellen gibt, liegt aber auch daran, dass wir zurzeit erfreulicherweise sehr viel Geld haben, das wir investieren können. Ein Vergleich: Wir hatten 2012 rund eine Milliarde Euro für Bauvorhaben bei Bundesstraßen, heuer liegen wir bei 1,8 Milliarden sicher, wahrscheinlich am Ende eher bei 1,9 Milliarden.
Ist in der Vergangenheit zu wenig gemacht worden?
Ja. Frühere Mittel im Bundesstraßenhaushalt waren immer zu knapp. Heute müssen wir beim Planen Gas geben, damit wir überhaupt noch hinterherkommen.
Beim Wohnungsbau beklagt sich die Wirtschaft, dass die Genehmigungsverfahren so lange dauern. Drei Jahre im Durchschnitt, heißt es.
Drei Jahre? Das würde ich so nicht unterschreiben. Wir befinden uns mitten in einem Bauboom. Genehmigungsbehörden kommen kaum noch mit den Anträgen nach. Ich möchte diese Verfahren vereinfachen. Wir arbeiten an einer digitalen Baugenehmigung. Aufgrund der Komplexität der Verfahren soll die Digitalisierung in einem Pilotprojekt erprobt werden. Wir wollen schauen, wie das Pilotprojekt läuft und mittelfristig das an allen staatlichen Bauaufsichtsbehörden Bayerns einführen. Das wird noch eine Weile dauern.
Was gibt es Neues bei der staatlichen Wohnungsbaugesellschaft BayernHeim?
Wir stellen gerade das Team zusammen, dann gehen wir sofort in die Grundstücksverhandlungen. Beim McGraw-Grundstück zum Beispiel muss die Stadt München erst einmal die Baumöglichkeit schaffen.
Um wie viele Grundstücke geht es bislang?
Wir haben vier Grundstücke in Staatsbesitz für die ersten Projekte, eines in Fürth, eines in Bayreuth und zwei in München. Außerdem sind uns 32 Grundstücke von Kommunen angeboten worden.
Wie viele Wohnungen können Sie darauf bauen?
Für einzelne Grundstücke ist das noch schwierig zu sagen. So hängt es auch davon ab, wie hoch gebaut werden darf.
Die angepeilten 10.000 zeichnen sich noch nicht ab, oder?
Wir wollen 10.000 Wohnungen bis 2025 bauen. Das ist unser erklärtes Ziel. Für einzelne Grundstücke kann man nur schätzen. Auf dem McGraw-Gelände werden es vielleicht 400 bis 600 neue Wohnungen, wenn es der Bebauungsplan zulässt.
Es war einmal von 1.000 Einheiten die Rede.
Ja, insgesamt. Da stehen aber auch schon welche.
Wie kommt es, dass die Staatsregierung das Thema gerade jetzt für sich entdeckt? Die CSU regiert ja schon etwas länger.
Weil der Druck erkennbar gestiegen ist. Es ist gar nicht so lange her, da hat man überlegt, ob man aufgrund der Demografie überhaupt noch bauen soll. Heute stelle ich fest, dass wir in Bayern in den letzten fünf Jahren 500.000 neue Einwohner bekommen haben. Das ist eine Stadt von der Größenordnung Nürnbergs zusätzlich.
"Sozialer Wohnungsbau ist Sache der Kommunen"
Eine Entwicklung, die sich so schnell nicht ändern wird.
Nein, das liegt alles an der hervorragenden wirtschaftlichen Entwicklung, denn Bayern boomt. Das ist erfreulich. Was mich ärgert, sind Wahlplakate, in denen die SPD behauptet, "Wir können neue Wohnungen gar nicht so schnell bauen, wie die CSU sie an Spekulanten verkauft". Die SPD hat in weit größerem Stil verkauft! Von 2001 bis 2007 veräußerten die SPD-Bundesfinanzminister Hans Eichel und Peer Steinbrück 280.000 staatliche Wohnungen und Wohnungsanteile, um den Haushalt zu sanieren. Darunter die komplette Münchner Siedlung in Ludwigsfeld. Raten Sie mal, an wen ...
An die Patrizia?
Richtig. An ein Wohnungsunternehmen, das die Bayern-SPD als "Spekulanten" bezeichnet. Und jetzt raten Sie mal, an wen Grün-Rot 2012 in Baden-Württemberg 20.000 Wohnungen verkauft hat?
An die Patrizia.
Ja. Ich finde, das ist eine Heuchelei. Wenn die SPD an die Patrizia Wohnungen verkauft, ist es die gute Patrizia - und bei uns ist es die böse Patrizia.
Das heißt, wenn am 15. September die nächste Demonstration #ausspekuliert kommt...
...demonstriere ich mit einem Plakat "SPD verkauft 280.000 Wohnungen! Und Baden-Württembergs Grüne 20.000!" Im Ernst: Es ist enorm schwierig, in München eine bezahlbare Wohnung zu bekommen. Doch sozialer Wohnungsbau ist in erster Linie Sache der Kommunen. Die SPD regiert seit Kriegsende in München fast ununterbrochen. Es ist billig, die Schuld auf die Staatsregierung abzuwälzen.
Aber der Freistaat hat sein Budget für den sozialen Wohnungsbau doch erst Ende 2016 halbiert.
Ja, das war 2016. Aber jetzt stehen wir bei 886 Millionen Euro für den Wohnungsbau - das ist ein neuer Rekord. Geld ist da, aber die Grundstücke fehlen leider. In München besonders, aber auch auf dem Land. Wohnungen sollen gebaut werden, aber ohne neue Flächen zu verbrauchen oder ohne nachzuverdichten - wie soll das bitte gehen?