Party-Stimmung trotz Regen
Helene Fischer gibt Mega-Konzert in München
21. August 2022, 7:06 Uhr aktualisiert am 3. April 2023, 17:03 Uhr
Bei ihrem Mega-Konzert in München vor 130.000 Zuschauern gibt sich Superstar Helene Fischer keine Blöße. Doch trotz einer spektakulären Show will lange Zeit keine rechte Stimmung im Publikum ankommen. Unsere Konzert-Kritik.
Die ewige Sehnsucht nach der heilen Welt, dem sicheren Happy End. Es mag ein Schlager-Klischee sein, aber das Wetter auf dem Münchner Messegelände in Riem hält sich daran. Um kurz vor 20 Uhr, nach einem Tag voller heftiger Regenduschen und einem drohenden Konzertabbruch, streckt die warm leuchtende Abendsonne kurz vor Helene Fischers Auftritt über dem gewaltigen, mit 130.000 Menschen gefüllten Areal ihre wärmenden Fühler aus.
Der Moderator verspricht auch motiviert von einem zarten Regenbogen und dem schwindenden Niederschlag vollmundig ein "Konzert des Jahres", animiert die tapfer über Stunden wartenden, durchnässten Fans zu einem "Oh wie ist das schön".
Und just als es dunkel wird auf der gewaltigen, 150 Meter breiten Bühne, die Vorfreude steigt auf den ersten Song der erfolgreichsten deutschen Sängerin, springt überraschend ihr Ex-Partner auf die Bühne. Sicher ist Florian Silbereisen ein großer Name in der Schlagerszene. Dennoch irritiert seine gewohnt beseelte Superlativ-Anmoderation ("Wir wollen heute den geilsten Abend erleben, den ihr je in München erlebt habt.") an einem Abend, der doch der Abend der Helene Fischer werden soll.
Die Superstar-Ausstrahlung ist noch da
Nach einem überflüssigen Countdown ist es dann aber endlich so weit, darf Helene Fischer mit "Genau dieses Gefühl" vom neuen Album "Rausch" gleich alle Bedenken um die lange Pause nach der Geburt ihres Kindes hinwegfegen. Ja, sie besitzt noch diese besondere Ausstrahlung, diesen Superstar-Appeal, der sich aus einem schwer zu greifenden Gefühl aus Nähe und Distanz speist.
In einem figurbetonten Schnur-Dress bewegt sich Fischer geschmeidig leichtfüßig wie eh und je über den nassen Bühnensteg, als wäre sie erst vor einer Woche hier aufgetreten.
Und gleich im zweiten Song, der rockigen Nummer "Jetzt oder nie", eifert die 38-Jährige erneut ihrem Show-Vorbild Pink nach und schwebt - sicher angeschnallt - federleicht durch die Lüfte des Messegeländes. Ein "Phänomen" sind dann die vielen Feuerfontänen, die immer wieder überraschend aus dem Bühnenboden schießen.
Nach diesem rasanten Abfeuern eingängiger Songs nimmt sich Helene Fischer auch mal die Zeit für eine kurze Ansprache, für ein Innehalten - mit sichtbar feuchten Augen. "Meinen allergrößten Dank, dass ihr schon seit Stunden ausharrt, hier im Regen feiert und singt."
Das größte Konzert ihres Lebens
Warme Worte, sicherlich, aber auch nicht ganz den Tatsachen entsprechend. Denn bis zum Ende des gut zweieinhalbstündigen Konzerts lässt sich schlicht nicht leugnen, dass ein Großteilt der Fans noch unter dem Eindruck der Strapazen der Anreise und des Ausharrens im Dauerregen steht. Und so will lange Zeit keine rechte Stimmung im weiten Rund aufkommen, gibt es sogar deutliche hörbare Pfiffe beim Dank von Helene Fischer für den Veranstalter Klaus Leutgeb und seine nicht immer glückliche Krisen-Kommunikation auch über die Sozialen Netzwerke hinweg.
Fischer selbst kann man an diesem Abend, dem größten Konzert ihres Lebens, bis auf einen an US-Stars wie Alicia Keys erinnernden, manchmal etwas angestrengten und sterilen Perfektionismus wenig Vorwürfe für die mäßige Stimmung machen. Ob pathetische Ballade wie "Hand in Hand", in dem sie ihren "Seelenverwandtem", ihrem Verlobten Thomas Seitel, huldigt oder das verruchtere Tanzstück "Vamos a Marte" - die Künstlerin, die stimmlich ohne Ausrutscher bleibt, gibt sich keine Blöße, bemüht sich trotz ähnlicher Songs immer wieder um Brüche im Tempo, um musikalische Abwechslungen.
Sie kann auch gönnen
Bevor das letzte Hurra vor der Zugabe mit einer Techno-Version vom Superhit "Atemlos" und dem schmissigen Disco-Stampfer "Rausch" erfolgt, widerlegt sie auch das Vorurteil einer gewissen Haltungslosigkeit. Ganz explizit adressiert Fischer das neue Stück "Die erste deiner Art" an junge Frauen, Mädchen, die sich unsicher fühlen, Angst haben ihre eigene Stimme zu erheben oder zu sich als Individuum zu stehen.
Und es zeugt dann auch von Größe, dass Fischer hier an der E-Gitarre dann auch ganz bewusst einer weiblichen Musikerin einen längeren, groß auf den LED-Screens projizierten Auftritt gönnt. Ein Fingerzeig nicht nur an ewig Gestrige, sondern auch darauf, dass Helene Fischer einen männlichen Einpeitscher der Marke Florian Silbereisen längst nicht mehr nötig hat.