Bayern

Ein Zeltdach überm Kopf: So läuft es in den Münchnern Flüchtlingsheimen

Menschen, die am Boden schlafen, Turnhallen als Notlager - anfangs sind die Zustände chaotisch. Wie sind Geflüchtete nun untergebracht? Die AZ hat sich umgeschaut


Anna (8) lebt mit ihrer Mama im "Lager", wie die Mutter die Leichtbauhallen bezeichnet. Ein Zuhause in der Ukraine haben sie nicht mehr, sagt sie.

Anna (8) lebt mit ihrer Mama im "Lager", wie die Mutter die Leichtbauhallen bezeichnet. Ein Zuhause in der Ukraine haben sie nicht mehr, sagt sie.

Von Nina Job

Zehn riesige, weiße Zelte stehen auf dem Messegelände in Riem direkt neben einem Besucherparkplatz. Bis zu 2000 Flüchtlinge können hier notuntergebracht werden. Hinter dem hohen Zaun unterhält sich Dolmetscherin Ofelia mit einer Kollegin, sie wirkt entspannt. "Zur Zeit ist hier alles leer. Heute früh sind die Letzten weitergereist", berichtet sie. Die junge Frau erinnert sich an ganz andere Situationen, die sie in München erlebt hat, seitdem die russische Armee die Ukraine angegriffen hat und Tausende vor dem Krieg nach München geflohen sind.

Im Ankunftszentrum in der Maria-Probst-Straße zum Beispiel schliefen die Menschen auf dem Boden und auch am Hauptbahnhof. Wegen der großen Anzahl an Neuankömmlingen wurden Familien zeitweise in Schulturnhallen einquartiert, es waren chaotische Tage.

sized

Sie hoffen, dass sie in München bleiben und arbeiten können: Schreiner Olesksander S., Krankenschwester Ljudmila, Studentin Oleksandra.

sized

Diese Zeltstadt für Neuankömmlinge ist in Riem aufgebaut: neben einem Parkplatz, wo derzeit die Besucher der Reisemesse "free" parken.

sized

Ein hoher Zaun umgibt die Leichtbauhallen an der Hachinger-Bach-Straße. In der Unterkunft sind auch Haustiere erlaubt.

sized

Dieses Gebäude am Stahlgruberring war mal ein Hotel. Heute sind darin vor allem kranke und ältere Geflüchtete untergebracht.

sized

Nach wie vor eine erste Anlaufadresse: der Infopoint der Caritas im Starnberger Flügelbahnhof. Hunderte kommen täglich an. Aber nicht alle bleiben.

Vor dem Hotel
parkt ein
verrosteter Lada

Seit Kriegsbeginn sind fast 67 000 Menschen nach München geflüchtet: vor allem Frauen mit Kindern, aber auch ältere, zum Teil sehr kranke Menschen. Längst nicht alle sind geblieben, viele sind in andere Städte weitergereist. Derzeit sind laut Sozialreferat knapp 16 000 geflüchtete Ukrainer in der Stadt gemeldet.

Die meisten sind privat aufgenommen worden oder haben selbst etwas gefunden. Knapp 1900 leben derzeit in städtischen Unterkünften. Wie und wo sind sie heute untergebracht? Die AZ hat sich bei Unterkünften umgeschaut.


Die neue Bleibe von Olesksander (46), Ljudmila S. (50) und ihren Kindern Oleksandra (18) und Arkhyp (14) ist in einem ehemaligen Hotel im Gewerbegebiet in Trudering-Riem. Ein paar Häuser weiter ist ein "FKK-Club", nebenan eine Spenglerfirma. Früher haben in dem Hotel am Stahlgruberring Monteure übernachtet, heute können hier bis zu 102 Geflüchtete wohnen. Die Stadt hat das Haus vorigen Sommer angemietet, erst mal für zwei Jahre.

Die abgelegene
Lage
sei angenehm

Vor dem Gebäude parkt ein verrosteter alter Lada mit ukrainischem Kennzeichen und Schwerbehinderten-Aufkleber. In dem Haus sind vor allem kranke und ältere Geflüchtete mit ihren Verwandten untergebracht. Die abgelegene Lage sei angenehm für die Bewohner, sagt der Eigentümer zur AZ. "Es ist ruhig hier."

Olesksander S., der Schreiner gelernt hat, und seine Frau Ljudmila, eine Krankenschwester, sind aus dem hart umkämpften Kreminna bei Luhansk geflüchtet. Seit 1. November sind sie in München. Sie sagen, dass es ihnen jetzt gut geht. "Wir sind in Sicherheit!" Sie hoffen, bleiben und Arbeit finden zu können. Tochter Oleksandra (18) möchte Reha-Medizinerin werden, sie studiert online: am Laptop in der Flüchtlingsunterkunft.

Ein paar Kilometer entfernt steht eine Leichtbauhalle. Das Gelände in Berg am Laim ist von einem hohen Metallzaun umgeben, dahinter führt eine Frau ihren Hund Gassi. Auch Haustiere dürfen mit in die 418-Betten- Unterkunft an der Hachinger-Bach-Straße. Draußen brummen Heiz- und Lüftungsrohre, es gibt eine Tischtennisplatte, ein Spielgerät und einen Securityposten. Der junge Aufpasser ist aus Somalia, 2015 ist er gekommen, erzählt er, er wisse wie das sei als Flüchtling.
Am Zaun trifft die AZ auf einen Mann, der seinen Namen nicht nennen will. Er gibt sich als Russe zu erkennen, sagt, dass er seine Heimat schon vor Jahren aus politischen Gründen verlassen habe. In der Unterkunft wohnen seine Nichte und seine Schwester. Sie sei mit einem Ukrainer verheiratet, die Familie habe in Charkiw gewohnt. Seine Schwester verberge ihre russische Herkunft vor den anderen Geflüchteten. "Es gibt viele gemischte Ehen", sagt der Mann. "Auch viele Russen haben Probleme wegen Putin", betont er.

"Wir sind in
Sicherheit.
Es ist warm"


Das Tor öffnet sich, eine Frau mit langen dunklen Haaren schiebt ein Fahrrad heraus, im Anhänger dahinter sitzt Anna (8). Lena B. und ihre Tochter kommen aus Odessa. Seit August wohnen sie "im Lager", wie es die Mutter bezeichnet. Sie ist Tierärztin, ihre Tochter geht nun in München in die Schule, sie wiederholt die zweite Klasse und kann schon etwas Deutsch.

Nachts kann Lena manchmal schlecht schlafen, weil die Lüftungsrohre laut brummen und die Parzellen nur mit dünnen Holzwänden voneinander getrennt sind. Sie ist trotzdem froh über die Bleibe: "Wir sind in Sicherheit. Es ist trocken und warm." Ein Zuhause in der Ukraine hätten sie nicht mehr, sagt Lena. Annas Vater hätte sie aufgefordert, sich "patriotisch" zu verhalten und sofort zurückzukommen. Als sie sich weigerte, habe er geschrieben, dass sie nie mehr zurückkommen solle.

Es ist Abend geworden, Lena und ihre Tochter wollen noch Enten füttern. Die AZ beendet die Tour im Starnberger Flügelbahnhof. Am "Infopoint", der Anlaufstelle der Caritas, hat für Tausende Ukrainer ein Neubeginn in der Fremde, in München, begonnen. Derzeit kommen noch durchschnittlich 300 Menschen am Tag an. "Seit Dezember sind die Zahlen wieder gestiegen", sagt Manuela Dillmeier von der Caritas.

An diesem Abend ist es ruhig. Etwa 20 Obdachlose haben sich in der geheizten ehemaligen Schalterhalle zum Schlafen hingelegt. Ein Aushang mahnt, dass Heißgetränke nur für die Geflüchteten sind. Dolmetscherin Ofelia, die in der leeren Zeltstadt heute nichts zu tun hat, war auch am Infopoint schon oft im Einsatz. Sie ist sich sicher: "Bald werden wieder mehr Ukrainer kommen."

HORIZONTALE LINIE

Stadt plant neue Unterkünfte

Die Stadt München ist staatlich verpflichtet, 6525 Plätze für Geflüchtete aus der Ukraine zu stellen. 4500 davon müssen langfristig sein. Derzeit hat die Stadt vier Leichtbauhallen, zwei frühere Gewerbegebäude, vier Hotels und eine ehemalige Jugendherberge mit insgesamt 2100 Bettplätzen. Die Zeltstadt in Riem muss Mitte März wieder abgebaut werden - die Messe brauche den Platz. Um längerfristig Unterkünfte zu schaffen, sind etwa 20 weitere Standorte erforderlich. 3170 Unterkünfte sollen in Container- oder Festbauweise geschaffen werden. Acht neue Standorte für mehr als 1900 Plätze hat die Stadt inzwischen gefunden. So sollen zum Beispiel Containerbauten für bis zu 300 Flüchtlinge an der Frobenstraße in Riem errichtet werden. Am Schatzbogen will die Stadt ein ehemaliges Schulgebäude mieten (200 Plätze). Auch an der Glücksburger Straße und in der Stummerstraße in Allach sollen Container-Unterkünfte entstehen.