Bayern

Diese Mieter wollen ihr Haus kaufen - und zeigen, wie auch andere das schaffen können

Als ihr Zuhause, die Wörthstraße 8 in Haidhausen, zum Verkauf stand, waren die Bewohner schockiert. Doch dann fassten sie einen Plan, den viele nachmachen sollen: Sie wollen Besitzer ihres Hauses werden. Zum Verkauf steht es für 6,5 Millionen Euro.


Diese Mieter wollen ihr Haus kaufen: Wolfgang Heidelmeyer, Katrin Göbel, Hendrik Wirschum und Andy Ebert.

Diese Mieter wollen ihr Haus kaufen: Wolfgang Heidelmeyer, Katrin Göbel, Hendrik Wirschum und Andy Ebert.

Von Christina Hertel

Haidhausen - Es ist einfach alles so vertraut, sagt Katrin Göbel im Treppenhaus. Seit 34 Jahren, mehr als ihr halbes Leben, wohnt sie hier - in der Wörthstraße 8, ein gelbes Haus mit Stuck an der Fassade und einer kleinen Marien-Statue im Eck. 1894 wurde es erbaut, ein Mosaik im Treppenhaus zeigt die Jahreszahl. 13 Wohnungen und drei Läden gibt es darin.

Göbel zog Ende der 80er als Auszubildende in eine WG ein. Inzwischen leitet sie gemeinsam mit einer anderen Bewohnerin den kleinen Geschenkeladen im Erdgeschoss, wo es Postkarten, Schreibwaren und allerlei Krimskrams zu kaufen gibt. Göbels Tochter zog aus, ihr Freund zog ein. Eine Zeit lang habe sie an der Art, wie die alte Holztreppe knarzte, erkannt, welcher Nachbar gerade nach Hause kommt, sagt Göbel. Die Wörthstraße 8 ist ihr Zuhause - und wenn alles gut geht, könnte sie bald auch ihr gehören.

sized

Andy Ebert hat zwei Tische zusammen gestellt. Denn die großen Haus-Versammlungen mit allen Bewohnern finden in seiner Küche statt.

sized

Aber auch in Katrin Göbels Wohnzimmer treffen sie sich regelmäßig, um zu beratschlagen, wie sie ihr Haus kaufen könnten.

sized

Unten im Eck führt Katrin Göbel mit einer anderen Bewohnerin den Geschenke-Laden Kokolores. Als sie einzog, war sie noch Auszubildende.

Sie und die anderen Mieter wollen das Haus kaufen. Im Lotto gewonnen oder Millionen geerbt hat aber keiner von ihnen. Trotzdem hoffen sie, dass ihre Idee viele Münchner nachmachen - und Eigentümer werden.

In Haidhausen tobt die Gentrifizierung: In der Nachbarschaft wurde gerade erst ein Altbau abgerissen

Wie das klappen soll, erklären Andy Ebert, Wolfgang Müller-Heidelmeyer und Hendrik Wirschum in Katrin Göbels Wohnzimmer. In den vergangenen Monaten saßen sie oft hier an dem Holztisch, um zu beratschlagen, wie es weiter gehen soll. Eine Bekannte hatte durch Zufall eine Anzeige im Internet entdeckt, mit der ihr Haus verkauft werden sollte - für 6,5 Millionen Euro, erzählt Göbel.

"Wir haben uns ohnmächtig gefühlt", sagt Andy Ebert. Seit 18 Jahren lebt der Informatiker in der Wörthstraße. Seine Wohnung war früher die WG seiner Freundin, heute ist sie das Zuhause seiner Familie: Mutter, Vater, zwölfjährige Tochter.

Nach dem ersten Schock sei klar gewesen, dass mit ihrem Haus nicht das passieren soll wie in der Nachbarschaft: Neben der Kneipe Johanniscafé klafft gerade eine Baulücke. Ein Immobilienkonzern riss ab und sucht jetzt nach neuen Eigentümern, die neu bauen. Die günstigste Wohnung ist 43 Quadratmeter groß und kostet fast 1,1 Millionen.

Mithilfe des Mietshäuser Syndikats soll der Hauskauf möglich werden

"In Haidhausen sollen nicht nur Menschen wohnen, die zwei Labradore, aber keine Kinder haben", sagt Hendrik Wirschum (38), ein Gewässerökologe. Es soll nicht nur Platz sein für Porsche-Fahrer, sondern auch für normale Leute wie in ihrem Haus - ein Briefträger, eine Schneiderin, ein Schreiner, ein Informatiker.

Das Konstrukt, wie die Bewohner ihr Haus retten wollen, ist komplex - aber nichts Neues. Zuerst schlossen sie sich zu einem Hausverein zusammen, gerade sind sie dabei, eine Haus GmbH zu gründen. Mit dieser wollen sie das Haus kaufen, und selbst verwalten.

Außerdem haben sie sich dem "Mietshäuser Syndikat" angeschlossen. Dieses Netzwerk hat später, falls sich die Bewohner entscheiden würden, das Haus doch zu verkaufen, ein Veto-Recht. So soll ausgeschlossen sein, dass einer mit der Immobilie eines Tages das große Geschäft macht. Die Mieten sollen dauerhaft günstig bleiben.

Die Bewohner müssen nun selbst Geld einsammeln: Das Mittel sind Direktkredite

Doch weil niemand in dem Haus so viel Geld auf dem Konto hat und wegen der gestiegenen Zinsen auch keinen so hohen Kredit bei einer Bank abbezahlen könnte, sind die Bewohner angewiesen, dass andere ihr Projekt unterstützen.

Wer Geld übrig hat, kann einen Direktkredit an die Hausgemeinschaft vergeben. Höhe, Zinsen und Zeitpunkt, wann das Geld zurückgezahlt werden soll, lassen sich individuell vereinbaren. Man muss allerdings bereit sein, weniger Zinsen zu verlangen als eine Bank, erklärt Ebert.

Bisher sammeln die Bewohner nur Absichtserklärungen. 108 Menschen sind nach derzeitigem Stand dazu bereit, insgesamt mehr als 1,9 Millionen Euro zu geben. Damit das Projekt funktioniert, brauchen sie 3,2 Millionen.

Die SPD im Stadtrat findet: Die Stadt sollte den Hauskauf fördern

Auch im Münchner Stadtrat ist das Projekt angekommen. SPD-Fraktionsvorsitzende Anne Hübner findet: Die Stadt sollte das Vorhaben unterstützen. "Wir sollten alle denkbaren Mittel ergreifen, um Mieter zu schützen", sagt sie.

Bis jetzt geschieht das vor allem dadurch, dass die Stadt selbst kauft. Doch das ist teuer: Allein 2022 gab die Stadt für 19 Häuser mit rund 540 Wohnungen über 350 Millionen aus.

"In den vergangenen Jahren haben wir praktisch in jeder Straße in Haidhausen ein Haus gekauft", sagt Hübner. Aber klar ist auch: Die Stadt kann nicht endlos so weiter machen. "Da wäre es für die Stadt doch leichter ein zinsloses Darlehen zu vergeben", glaubt Hübner. Im Gegenzug müssten sich die Haus-Gemeinschaften dazu verpflichten, die Mieten dauerhaft günstig zu halten.

Die SPD stellte gemeinsam mit den Grünen den Antrag, dass die Verwaltung solche Modelle prüfen soll. Doch einfach ist das nicht, wie Kämmerer Christoph Frey (SPD) erklärt. Eine Kommune dürfe nicht wie eine Bank agieren und Geld verleihen. Wenn dann funktioniere es über Förderungen. "Wir wollen das wirklich unterstützen, aber es dauert sicher noch ein paar Wochen, bis wir eine rechtlich sichere Lösung haben", glaubt der Kämmerer.

In München gibt es nur zwei Projekte, die nach dem Syndikatsprinzip funktionieren

Für die Bewohner der Wörthstraße kommt das womöglich zu spät. Doch die Bewohner haben ohnehin nicht nur ihr privates Glück im Sinn. "Wir wollen eine Inspiration sein", sagt Ebert.

In anderen Städten ist es nichts Neues mehr, dass sich Mieter zusammenschließen und gemeinsam ihr Haus kaufen. 184 solche Syndikatsprojekte gibt es in ganz Deutschland - in München bisher nur zwei. Die Ligsalzstraße 8 im Westend gehört seit 15 Jahren ihren Bewohnern. Außerdem will eine Initiative an der Görzer Straße 128 in Ramersdorf-Perlach ein Grundstück bebauen. Bald sollen die Bauarbeiten losgehen.

Auch im Glockenbauchviertel gibt es Mieter, die sich einen Häuserkauf vorstellen können

Auch Norbert Knupp kann sich gut vorstellen, dass er und seine Nachbarn die neuen Eigentümer ihres Mietshauses an der Baumstraße 4 im Glockenbachviertel werden. Seit 26 Jahren werde ihr Haus von einem Nachlassverwalter verwaltet, der die Mieten günstig hält, sagt Knupp. Zwischen 6,50 und 14 Euro liegen sie pro Quadratmeter - je nach Alter des Mietvertrags. In vier Jahren allerdings ende der Auftrag des Nachlassverwalters.

"Wir haben keine Ahnung, was dann passiert", sagt Knupp. Diese Unsicherheit macht ihm Sorgen. Denn er weiß, dass viele im Glockenbachviertel das Doppelte an Miete zahlen. Knupp ist 63 Jahre alt, ein selbstständiger Installateur. "Ich habe immer gearbeitet, aber ich habe das Gefühl, es reicht trotzdem nicht."

So ähnlich geht es Katrin Göbel aus der Wörthstraße. Zu wissen, dass sie in ihrem Leben garantiert nicht ausziehen muss, würde vieles verändern, meint sie. Vielleicht würde sie das Bad sanieren, vielleicht würde die Hausgemeinschaft irgendwann eine Solaranlage installieren. Und ganz bestimmt würden sie ein kleines Fest in ihrem Hinterhof feiern.

Am Dienstag, 2. Mai, von 11 bis 18 Uhr erzählen die Bewohner am Weißenburger Platz über ihr Vorhaben.