Bayern

AZ-Besuch in der Community Kitchen: Viel zu schade für die Tonne

Eigentlich sollten die Lebensmittel weggeworfen werden. Die Community Kitchen in Neuperlach macht daraus Gerichte- und kämpft so gegen Verschwendung.


Die Grünen-Abgeordnete Jamila Schäfer (Mitte) besucht die Community Kitchen von Natalie Gath, Judith Stiegelmayr (v.l.) und Günes Seyfarth (r.).

Die Grünen-Abgeordnete Jamila Schäfer (Mitte) besucht die Community Kitchen von Natalie Gath, Judith Stiegelmayr (v.l.) und Günes Seyfarth (r.).

Von Christina Hertel

München - In dem Kühlhaus stapeln sich weiße Pappschachteln voll mit Camembert. Wie viel das ist? "Drei Paletten à 600 Kilo”, antwortet Günes Seyfarth. Also 1 800 Kilo Käse. Dieser würde eigentlich längst geschreddert irgendwo in einem Müllcontainer liegen - wenn Günes Seyfarth nicht zusammen mit Judith Stiegelmayr und Natalie Gath die "Community Kitchen" in Neuperlach gegründet hätte.

Die 30 Festangestellten und 50 Ehrenamtlichen, die hier anpacken, verarbeiten praktisch ausschließlich Lebensmittel, die sonst auf dem Müll gelandet wären. Bloß Gemüse, Öl und Mehl kaufen sie ein.

Bis Ende 2020 gehörte das Kühlhaus noch zur Kantine der Allianz. Bis dahin hatte die Versicherung an der Fritz-Schäffer-Straße in Neuperlach noch ihre Büros. Dann eröffneten im Sommer 2021 die drei Frauen in dem 42 000 Quadratmeter großen Komplex die größte Zwischennutzung der Stadt.

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Ziemlich gemütlich sieht es in der ehemaligen Allianz-Kantine in Neuperlach heute aus.

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Die Grünen-Abgeordnete Jamila Schäfer (Mitte) besucht die Community Kitchen von Natalie Gath, Judith Stiegelmayr (v.l.) und Günes Seyfarth (r.).

Es gibt eine Bücherei, ein Fotostudio, ein Kino, einen kleinen Secondhandladen. Unternehmen können Räumlichkeiten für Workshops mieten, Münchner können hier ihren Geburtstag feiern oder basteln, werkeln, sich austauschen - und eben essen.

In der ehemaligen Allianz-Kantine sieht jeder Tisch und fast jeder Stuhl anders aus. Man kann sich vorstellen, wie die Möbel früher in Wohnzimmern standen. Die drei Frauen fanden sie auf Ebay-Kleinanzeigen in der Kategorie "zu verschenken", manche wurden gespendet. Die Möbel wären sonst wohl in der Tonne gelandet - so wie das Essen, das hier auf den Tisch kommt.

Pilz-Gemüse-Pfanne mit Reis, Pasta mit Käse-Pilz-Soße, belegte Brote, verschiedene Kuchen stehen heute auf der Karte. Die Hauptgerichte kosten sechs, sieben Euro. Pro Tag kommen etwa 120 bis 200 Gäste in die Kantine, schätzt Günes Seyfarth.

"Wir steigen nicht nachts in irgendwelche Müllcontainer von Supermärkten", stellt Seyfarth klar. Sie setzt eine Stufe vorher an. Bei den Landwirten, die manches Gemüse nicht loswerden, weil es (angeblich) viel zu dreckig ist. Bei Molkereien, die zum Beispiel bestimmte Produkte nicht verkaufen können, weil die Verpackung eine Macke hat. Auch der Großmarkt gibt viel ab - zum Beispiel Obst und Gemüse, das schon zu reif für den Handel ist. 15 Tonnen Lebensmittel kann die Community Kitchen nach eigenen Angaben jede Woche vor der Tonne bewahren.

"Anfang dieser Woche bekommen wir zum Beispiel zwei Paletten Nürnberger Würste, bei denen manche in der Packung zerbrochen sind”, erzählt Natalie Gath. Zum Verkaufen sind die Würste nicht mehr geeignet, meint der Hersteller, meinen vielleicht auch die Supermärkte. Zum Essen eignen sie sich aber sehr wohl, davon sind die drei Gründerinnen der Community Kitchen überzeugt.

Schon seit zehn Jahren rette sie Lebensmittel, sagt Seyfarth. Sie gründete den Verein "Food Sharing München" mit, der unter anderem Lebensmittel bei Supermärkten abholt, die diese wegschmeißen würden.

"Günes hatte schon immer den Traum, ein Restaurant zu gründen, das gerettete Lebensmittel verkocht", erzählt Natalie Gath. Mit der "Community Kitchen" ist der Traum wahr geworden - zumindest befristet. Denn der Mietvertrag läuft erstmal nur bis Ende 2024. Dann soll der Bürokomplex zum Teil abgerissen, das Areal neu bebaut werden. Angst, dass es dann vorbei sein könnte, habe niemand von ihnen, sagt Natalie Gath. "Wir wissen, dass es weiter geht." Vielleicht auch, weil es noch so viel zu tun gibt.

118 Gramm Lebensmittel - so viel wiegt etwa ein Apfel - schmeißt jeder Deutsche im Schnitt pro Tag weg, sagt Günes Seyfarth. "Alleine in München landen jeden Tag 168 Tonnen verzehrfähige Lebensmittel in der Tonne." Ihr Ziel ist, diese Verschwendung signifikant zu reduzieren.

Das haben sich auch die Grünen im Bundestag vorgenommen. Um zu hören, wie das gelingen könnte, besuchte die Münchner Abgeordnete Jamila Schäfer die Community Kitchen.

Eine Idee: das Mindesthaltbarkeitsdatum abschaffen. "Denn viele Lebensmittel seien noch viel länger haltbar, werden aber trotzdem bloß wegen dieses Datums weggeschmissen", sagt Jamila Schäfer. Eine zweite Idee: Supermärkte zu verpflichten, noch haltbare Lebensmittel zu spenden, anstatt wegzuwerfen.

Da ist Seyfarth skeptischer: "Es geht ja nicht darum, die Lebensmittel zu verteilen, sondern darum, dass es gar nicht zu so einer Verschwendung kommt." Aus ihrer Sicht müsste die Politik deshalb früher ansetzen. "Jeder Neubau in München müsste einen Stadtgarten haben. Damit die Leute sehen, dass Pommes aus einer erdigen Kartoffel entstehen."