Granensee
Armin Hock bietet Überlebenstraining in der niederbayerischen Wildnis
20. November 2015, 17:07 Uhr aktualisiert am 20. November 2015, 17:07 Uhr
Raus aus der Komfortzone: Wer bei Armin Hocks Training mitmacht fühlt sich schnell wie Tom Hanks in "Cast Away".
Robert zieht das Seil mit aller Kraft nach unten und legt sich darauf. Sein rechter Fuß ist oben eingehakt im Seil, um ihn im Gleichgewicht zu halten. "Du kannst dich zwischendurch aufs Seil legen und ausruhen", gibt ihm Armin lautstark mit auf den Weg. In Roberts Kniekehle hängt der Proviant-Rucksack, den er auf der Seilbrücke heil über die Wasserstelle bringen soll.
Der Ultra-Läufer aus Franken hat so etwas noch nie gemacht. Er schleppt sich am Seil entlang, beginnt zu wackeln, kippt um und kann sich mit letzter Kraft mit den Händen am oberen Seil festhalten. Der Rucksack rutscht vom Knie auf seinen Fuß und baumelt dort einige Sekunden lang, eine gefühlte Ewigkeit. Rucksack-Besitzer Roger sprintet zur Wasserstelle, doch zu spät. Der Rucksack fällt ins Wasser. Robert springt hinterher und dann an Land. Roger fischt seinen Rucksack heraus.
Am anderen Ende stehen Survival-Trainer Armin, sein Sohn David, Helga aus Rosenheim, Philipp aus Ravensburg, Andy aus Luzern, Teenager Sean und Rogers Freundin Ramona und lachen über die kuriose Szene.
Am Ende der Welt
Tatort ist ein Waldstück in Grasensee bei Hollkronöd in der Nähe von Wurmannsquick im Landkreis Rottal-Inn. Gefühltes Ende der Welt, genau der richtige Ort für ein Überlebenstraining. Sieben Zivilisten wagen den Sprung aus der Welt von Dusche, WC, beheizter Wohnung und WLAN-Internetzugang in die Wildnis mit Lagerbauen, Feuermachen, Im-Freien-Schlafen und Latrine-Ausschaufeln. Zwei Tage raus aus der Komfortzone. Das ist der Plan für Samstag und Sonntag. Roger und Ramona sind deswegen aus Karlsruhe nach Niederbayern gefahren, Andy, der Ur-Schweizer Busfahrer aus Luzern, brachte fünf Stunden auf dem Motorrad hinter sich.
Allesamt sind es Leute, die freiwillig anrücken und auch noch dafür bezahlen, dass sie gequält werden. Ihr Alphatier ist Armin Hock mit seinem Defender Geländewagen. Der Ex-Soldat mit der Einzelkämpfer-Ausbildung, der in Riedling bei Oberschneiding sein Headquarter bezogen hat, hängt erst mal den Hänger ab. Das Team transportiert Ausrüstung und Proviant zum Waldstück. Wie Ameisen helfen alle zusammen. Erstaunlich, wie schnell Menschen in den Teamwork-Modus schalten, wenn eine besondere Situation gegeben ist.
Skills statt Leiden
"Wenn Leute von D-MAX oder RTL mitlaufen wollen, um Leute zu filmen, die beim Survival Camp fertiggemacht werden und heulen, dann schicke ich sie weg. Wir schlucken auch keine Maden und Würmer. Bei mir geht es um Fähigkeiten, die im Ernstfall wichtig sind, wenn man draußen beim Trekking auf sich allein gestellt ist", so Armin Hock.
Der Mensch ist dann ganz schnell ein Tier: Was er braucht, sind ein Lager zum Nächtigen und Futter gegen Hunger. Als Erstes wird das Lager gebaut. Es ist kein olivgrünes Zelt dabei, auch keine Blockhütte. "Ihr holt, was ihr findet", befiehlt Armin. Kleine, gerade Äste sollen es sein. Helga, Philipp, Roger, Robert & Co. schwärmen aus. Schindeln für das Dach werden auch gebraucht - am besten geeignet ist abgebrochene Baumrinde. Käfer oder Schnecken dürfen dran hängen. Hauptsache wasserdicht.
Mit Seilen werden zwei Baumstangen quer zwischen Baumstämmen befestigt, die anderen geraden Äste daran gelegt, Rinde und Fichtenzweige darüber. Fertig ist der erste Unterstand. Armin lässt daneben Zeltplanen zwischen andere Bäume spannen, bis jeder ein Schlaflager hat. Alle helfen mit, es wird an jeden gedacht, Kameraden werden nicht zurückgelassen.
Es wird eine kalte Nacht sein, das lässt sich jetzt schon sagen. Gegen die Kälte hilft Feuer und über dem Feuer wird auch gekocht. Armin unterrichtet Lektion Nummer zwei: Die Gruppe marschiert auf eine Lichtung. Das Alphatier hat Brenngläser eingepackt. Wenn die Sonne scheint, lässt sich so am einfachsten Feuer machen. Philipp und Roger kauern sich auf den Boden, Zeitungspapier und Zunder in der Hand. Der Strahl wird gebannt und langsam raucht der Zunder. Roger und Philipp blasen ins Papier, das zu glühen beginnt. Plötzlich springt die erste Flamme auf. Philipp macht einen Satz und ruft: "Ich habe Feuer gemacht!". Es ist wie bei Tom Hanks in seinem Film "Cast Away".
Zurück im Wald steht Feuer-Variante zwei auf dem Programm: Bowdrill. Armin zeigt, wie es geht: Ein Holzstäbchen in das Seil eines Bogen spannen - was sehr tückisch ist - Gegenstück oben draufdrücken und in ein Brett mit vorgefertigten Löchern bohren. Schweiß rinnt ihm von der Stirn. Es dauert an die zehn Minuten, bis Armin den glimmenden Bohrstaub aus dem Holz rieseln lässt - danach ein Tempo-Taschentuch darüber gelegt, anblasen und es brennt. Alle probieren es, Roger geradezu fanatisch. Doch an diesem Abend schafft es keiner mehr, so Feuer zu entfachen. Übung, Kraft und enormes Durchhaltevermögen sind hierbei nötig.
Kräfte schwinden
Ausgepowert, ausgehungert und leicht angefroren, wünschen sich alle jetzt nur eines: wärmendes Feuer und Essen. Der 14-jährige Sean aus Hannover weiß, was jetzt kommt. Es ist sein zweites Camp. Bei Armin ist er momentan in Obhut, weil er zuhause aus der Schule geflogen ist. Für "rebellisch und schwer erziehbar" hielten ihn die Lehrer.
Aber hier bewährt er sich. Mit dem Bundeswehr-Spaten hebt er ein Loch aus, circa 30 Zentimeter tief, mit 40 Zentimeter Durchmesser. Das Feuer wird im Loch brennen. "So ist es von außerhalb des Lagers nicht zu sehen, kann ohne Spuren wieder geschlossen werden", so Armin.
Das Essen schmeckt verdammt gut, weil es heiß ist und weil alle Hunger haben. Zuerst brät Armin eine Portion Speck über den Flammen. Dann wird ein Dreibein aus Ästen gebaut, an dem der Topf mit einer Kette hängt. Im Wasser köcheln Nudeln vor sich hin, geschnittene Karotten und Zwiebeln. Reihum klacken die Löffel im Blechgeschirr. Es herrscht Zufriedenheit. Doch dann greift die Kälte um sich. Ein Teilnehmer plant die "Flucht" und ruft einen Freund an, um ihn abzuholen. Doch schließlich beißt er doch die Zähne zusammen und hält durch.
Ein letzter Exkurs. Armin führt die Gruppe auf eine Lichtung. Orientierung an den Mondphasen heißt die Lektion. Ist der Mond zunehmend oder abnehmend? Links ist ein kleiner Bogen bedeckt, also abnehmend. Zehn Zwölftel der Gesamtfläche sind bedeckt. Die Rechnung: Zwei fehlende Zwölftel plus die Zeit, in der die Sonne zwölf Stunden später am Tag morgens stehen würde. So kann man die Himmelsrichtung finden. Nicht alle verstehen die Berechnung.
Zeit zum Schlafen
Blitzschnell kriechen die meisten unter ihrem Unterstand in den Schlafsack. Es geht gegen null Grad. Am besten ist auch der Kopf warm eingepackt. "Feuer-Wächterin" Helga (64) aus Rosenheim besteht darauf, am Feuer zu schlafen. Vor drei Jahren wurde sie vom Wildnis-Fieber gepackt. Seitdem liegen dickes Schaffell und Daunenschlafsack immer griffbereit im Auto. Sechs Monate am Stück hat sie zuletzt in ihrem Garten im Zelt geschlafen.
Zwei Uhr nachts. Schnarchen durchdringt die Stille des Waldes. Irgendwo ruft ein Kauz. Es ist bitterkalt und stockdunkel. Jemand rumpelt fürs "kleine Geschäft" aufs riesengroße Outdoor-Klo und stolpert über eine Wurzel. Irgendwann siegt der Schlaf über Erschöpfung und Kälte.
Die ersten Sonnenstrahlen durchdringen die Bäume. Alle Wildnis-Gäste rascheln aus den Schlafsäcken. Man hat die Nacht draußen überlebt. Armin hat schon das Feuer angeworfen. Ramona sammelt Brennnessel-Blätter und Beeren für den Morgentee. Der wärmt wunderbar. Und jetzt: Brotbacken. Armin nimmt eine Plastikschale, kippt Mehl hinein, dazu Wasser, eine Prise Salz, rührt alles mit dem Finger zu Brei.
Armin und Roger backen je einen Fladen aus der Pfanne über der Flamme. Philipp schneidet Käse und Salami. Das Frühstück ist spartanisch und doch so gut wie nie zuvor.
Gestärkt geht es an die letzten Übungen: Orientierung in der Wildnis und Überwinden eines Wasser-Hindernisses. Mit dem Kompass wird die Geländekarte "eingenordet". Denn die magnetische Nadel zeigt immer nach Norden und so lässt sich die Marschroute bestimmen. Ziel ist ein Graben mit Bachlauf und Wasserstelle. Die Gruppe schleppt Seile und Armin spannt sie über die Schlucht hinweg an den Bäumen fest. Dabei wird Knotentechnik gelernt: Es gibt den "Würgeknoten" ("Konstriktor"), den "Schmetterling" oder den "Palstek" aus der Seefahrt, den auch die Kletterer oft verwenden.
Die beiden parallel übereinander gespannten Seile sind das Trampolin für den Show-down: Überqueren des Wassers. Zuerst gehen die Teilnehmer seitlich am unteren Seil hinüber. Danach Rutschen am oberen Seil, festgemacht am Karabiner. David stellt hierbei den Geschwindigkeitsrekord auf. Dann kommt der Teil "für Erwachsene": Ohne Sicherung oben am Seil hängen und gleiten. Philipp schafft es unfallfrei und bekommt Applaus beim Absteigen. Roger und Robert stürzen ab - und fangen sich doch wieder spektakulär auf. Der quirlige Roger (Ramona: "Er ist auch daheim nicht in einen Sack zu kriegen.") legt gar einen Salto am Seil hin.
Es ist später Sonntagnachmittag. Der Aufbruch naht - und mit ihm Rückkehr in die Zivilisation. Das Lager wird von vielen Händen in Windeseile abgebaut. Erschöpfung macht sich breit, auch wenn manche gar nicht genug bekommen können.
Philipp gewinnt Casting
Dass es dem Trainer auch um Leistung geht, zeigt die Abschluss-Runde: "Bei Philipp habe ich gleich gemerkt, dass es passt und bei der großen Herausforderung ist er herzlich willkommen." Was Armin meint, sind vier extreme Trekking-Wochen am Yukon-River in Kanada im Juni 2016. Das Verkehrsmittel wird ein selbst gebautes Floß sein. Rundherum wird eine Wildnis sein, wie man sie in Deutschland nicht kennt. "Da besuchen uns auch mal Grizzly-Bären im Lager", so Armin. Maximal vier bis acht genau ausgewählte Teilnehmer werden dabei sein. Der Spaß kostet 3.500 Euro (ohne Flug).
Währenddessen freut sich Helga "schon narrisch auf Sofa, Dusche, ein gutes Buch und ein warmes Bettchen." Doch der nächste Ausbruch ins Freie kommt für die Lagerfeuer-Queen bestimmt.