Prozess um Steinwürfe
Anklage sieht heimtückische Mordversuche
14. September 2021, 12:54 Uhr aktualisiert am 4. April 2023, 17:04 Uhr
Mehrere Steine soll ein Mann in Schwaben von einer Brücke auf eine Autobahn geworfen haben, um dort Autofahrer zu töten. Der 42-Jährige bestreitet das. Ein Indizienprozess soll nun Klarheit bringen - auch zu einem möglichen Motiv.
Rund eineinhalb Kilo schwer ist der Stein, der an einem Novemberabend von einer Brücke nahe Memmingen unvermittelt auf die Autobahn 96 herabstürzt. Der Fahrer eines herannahenden Wagens bremst gerade noch, der Brocken schlägt in der Karosserie ein. Der Mann am Steuer und sein Mitfahrer bleiben unverletzt. Wer den Stein geworfen hat, bleibt zunächst unklar.
Seit Dienstag muss sich ein 42-Jähriger wegen dieser und zwei weiterer ähnlicher Taten vor dem Landgericht Memmingen verantworten. Die Anklage wirft ihm versuchten Mord vor. Bei den Steinwürfen zwischen Mai und November 2020 habe der Mann den Tod von Fahrern und Insassen auf der A96 "billigend in Kauf genommen", sagte Oberstaatsanwalt Markus Schroth zum Prozessauftakt. Die Frage nach dem Warum blieb in der Anklageschrift offen.
Nach Angaben eines Gerichtssprechers bestreitet der Angeklagte die Vorwürfe. Zum Prozessauftakt bekam er aber keine Gelegenheit, sich dazu zu äußern. Laut Vorsitzendem Richter Christian Liebhart ist dies erst beim nächsten Verhandlungstermin am 5. Oktober vorgesehen. Für den Indizienprozess sind danach noch mindestens fünf weitere Verhandlungstage geplant, das Urteil könnte Mitte Oktober fallen.
Der 42-jährige Türke war aufgrund der Auswertung von Handydaten an einem Tatort festgenommen worden, seit Anfang Januar sitzt er in Untersuchungshaft. An einem Stein sollen seine DNA-Spuren gefunden worden sein. Bei einer Verurteilung drohen ihm mehrere Jahre Haft. Auch die Höchststrafe, eine lebenslange Freiheitsstrafe, ist möglich.
Ähnliche Prozesse gibt es immer wieder in Deutschland. So wurden im Februar drei junge Männer in Flensburg zu bis zu fünf Jahren Haft wegen Steinwürfen auf einen mit Senioren besetzten Kleinbus verurteilt. Zwei Angeklagte hatten laut Urteil aus Langeweile je einen Pflasterstein geworfen, der dritte den Fluchtwagen gefahren. In dem Fall kam niemand zu Schaden, in anderen Fällen schon.
Eine der folgenreichsten Taten trug sich Ostern 2008 auf der A29 in Niedersachsen zu. Ein Mann warf dort einen sechs Kilogramm schweren Holzklotz auf den Wagen einer Familie. Der Klotz durchschlug die Windschutzscheibe und tötete eine 33 Jahre alte Mutter. Ihr Mann und die beiden Kinder erlebten die Tragödie in dem Auto mit. Das Verbrechen hatte bundesweit Bestürzung ausgelöst, der Täter wurde vom Landgericht Oldenburg zu lebenslanger Haft verurteilt.
Laut dem Bayerischen Landeskriminalamt (LKA) gibt es aber keine Statistik, wie oft es die Polizei in Bayern mit ähnlichen Fällen zu tun hat. Eine LKA-Sprecherin sagte, dass oft auch Kinder, Jugendliche oder Betrunkene Gegenstände auf Fahrzeuge fallen ließen. Dabei werde nicht unbedingt mit krimineller Energie gehandelt.
Im Memminger Fall sieht dies die Staatsanwaltschaft anders. Der Angeklagte habe die Menschen in den Autos heimtückisch töten wollen, sagte Oberstaatsanwalt Schroth. Die Steinwürfe endeten letztlich aber glimpflich: Die Autofahrer behielten trotz der Einschläge bei teils hohem Tempo die Kontrolle über ihre Wagen, verletzt wurde niemand.