Landshut

Der Priester lässt sie alle tanzen

Ein Zettel, zwei Botschaften für DJ Wolfgang Priester


Landshut, 23 Uhr: Herr Priester an seinem Arbeitsplatz.

Landshut, 23 Uhr: Herr Priester an seinem Arbeitsplatz.

Irgendwann packt er die Kamera und hält drauf. Wolfgang Priester filmt verzückt über die Tanzfläche. Zwei junge Frauen tanzen Arm in Arm, ein Mittdreißiger im weißen Hemd reckt die Hand in Luft, singt selbstvergessen mit, ein Paar tanzt eng umschlungen. Es ist weit nach Mitternacht und es ist der Moment, der Wolfgang Priester glücklich macht. Wenn sie alle tanzen: die Jungen, die Alten, die Pärchen, die einsamen Herzen, die Stammgäste und die Partygänger. Diese Mischung liebt er. "Schau Dir die verschiedenen Leute an!", ruft er. Die Tür geht auf und ein paar neue Gäste kommen rein: Priester nimmt das Mikrofon in die Hand und quatscht einfach in das Lied, das gerade läuft: "Wieder kommen 5000 neue Gäste. Wenn das so weitergeht, dann sind wir um fünf Uhr voll." Voll ist sein Laden an diesem Abend schon längst. Denn das Pulverfass ist seit einigen Monaten der Anziehungspunkt für Nachtschwärmer.

Das Pulverfass. Dieser Laden an der Niedermayerstraße, ein paar Meter weg vom Hauptfriedhof. Dieses Relikt aus den 70er Jahren. Diese Mischung aus Pilskneipe und Diskothek, die sich nicht verändert hat. Für die einen seit Jahren das zweite Zuhause, für die anderen gibt es derzeit nichts hipperes, als ins Pulverfass zu gehen.

Trausnitz, Martinsturm und Pulverfass

Warum, das kann sich keiner so recht erklären. Manch einer glaubt, es liegt am überschaubaren Angebot in Landshuts Nachtleben. Doch viel eher trifft wohl die andere Erklärung zu: Das Pulverfass ist halt unvergleichlich.

Stellen wir uns mal vor, dass jemand vor 30 Jahren Landshut verlassen hat und jetzt, nach all den Jahren, zurückkehrt. Was wird er noch genau so wiederfinden, wie er es kannte? Die Trausnitz, natürlich. St. Martin, auch klar. Aber vieles andere hat sich verändert - die Fußgängerzone, die Farben der Häuser, die vielen Geschäfte und Gesichter. Und dann geht der Heimkehrer ins Pulverfass, wie er das, sagen wir mal, vor 30 Jahren auch gemacht hat. Dort ist es dann so wie mit der Burg Trausnitz und dem Martinsturm: Alles ist so, wie es schon immer war. Die verspiegelten Wände, die Discokugeln, die Theke mit den schweren Marmorplatten, die wuchtigen Barhocker, das schummrige Licht in den Ecken. Gut, den Barkeeper wird unser Rückkehrer nicht erkennen: Achim. Der ist auch erst seit 27 Jahren im Pulverfass. Immer adrett mit weißem Hemd und bunter Krawatte gekleidet. Dann ist da natürlich der DJ. Zwar ergraut, die Haare lichter - aber Wolfgang Priester ist da. Seit 40 Jahren steht er in seinem Pulverfass am DJ-Pult, umzingelt von Platten, von Singles und CDs. Die eine Hand am Regler, die andere meist am Mikrofon.

64 Jahre ist Priester. Man sieht ihm sein Alter an. Aber nicht, dass er von Donnerstag bis Samstag jede Nacht bis zum Morgengrauen den Alleinunterhalter gibt. Priester sieht eher nach einem älteren Herren aus, der abends zeitig schlafen geht und morgens Müsli mit Joghurt isst. Nachtleben? Keine Spur.

Priester lebt einfach gerne. Und der schönste Platz für ihn ist das DJ-Pult im Pulverfass. "Pulverfass heißt: Es geht immer weiter, immer vorwärts", sagt Priester. Mit Jammern will er sich nicht aufhalten. Von den "guten alten Zeiten" will er auch nicht lange reden. Er lebt jetzt. "Dem lieben Gott sei Dank."

Priester macht die Show im Pulverfass. "Ich bin eher ein Entertainer", sagt er. Ein Entertainer der alten Schule, müsste er eigentlich sagen. Denn Priester sieht aus wie einer dieser gemütlichen Fernsehmoderatoren der 70er und 80er Jahre. Frisch rasiert, die grauen Haare akkurat nach hinten gekämmt, Lesebrille und fein gekleidet: Hemd, Sakko, Einstecktuch und manchmal sogar noch ein Ascot-Schal um den Hals. Dieser Mann hat Stil und er verhält sich auch so. Das mit dem Fernsehmoderator ist gar nicht so falsch. In den 80er Jahren war er das tatsächlich Mal. "Ihr Wunsch - unser Programm" hieß die auf Senioren zugeschnittene und vom BR produzierte Sendung, die Priester moderierte. Und der Titel passt auch zum Pulverfass. Priester erfüllt fast jeden Musikwunsch, der ihn erreicht. Die einen lassen ihm einen Zettel zukommen, die anderen steigen auf das Podest der DJ-Kanzel und rufen ihm den Wunsch ins Ohr. Dabei kommt es dann schon mal vor, dass ein junger Gast dem Wolfgang schöne Grüße vom Papa oder der Oma ausrichtet, die früher auch ins "Fassl" gegangen sind.

Übergänge gibt es bei Wolfgang nicht

Danach ist es meist nur ein Griff und Priester hält das Wunschlied in der Hand. "Wenn ich einen Wunsch nicht erfüllen kann, bin ich mir beleidigt." Während andere DJs sich jahrelang in der hohen Kunst des Übergangs von einem Lied zum nächsten üben, damit die Tanzenden ja in Bewegung bleiben, pfeift Priester auf solche Spielchen. Er schnappt sich nach jedem Lied das Mikrofon und quasselt los. Schnell und spontan. Am Ende seiner kurzen Ansagen kommt es vor, dass er noch ein "Media Markt - stark" dranhängt. Dieser alte Werbeslogan. Priester spricht nämlich seit den 80er Jahren auch Radiowerbung. Wenn es sein muss, haut er im Stile eines aufgeregten Fußballmoderators eine Radiowerbung von McDonalds aus den 80er Jahren raus - fehlerfrei und mit dem perfekten Timing. Im Pulverfass textet er Werbesprüche in eigener Sache. Dann geht es weiter. Mikro weg, nächstes Lied. Musikalisch wirft Priester die Stile so wild durcheinander wie ein Koch seine Zutaten, der Hauptgang und Nachtisch in einem machen will. Priester ist da absolut schmerzfrei. Hauptsache, die Leute tanzen.

Um halb eins dann das: Priester legt einen Walzer auf. Gerade noch Schlager und Hitparade, jetzt Walzer. Paartanz - das ist vor allem die Sache der Stammgäste. Die meisten sind über 50 und waren schon als Jugendliche "beim Wolfgang". "Wo sollst Du in unserem Alter auch hingehen in Landshut?", lautet die Frage, die die meisten Stammgäste stellen. Sie ist natürlich rein rhetorisch. Denn ins Pulverfass - da kann man hingehen. Viele der Stammgäste nehmen es einfach nur zu Kenntnis, dass das "Fassl" bei den Jüngeren so angesagt ist. Wenn ab 1 Uhr morgens sich die Jungen auf der Tanzfläche tummeln, stehen einige Stammgäste vor ihrem Weißbier und schauen dem Treiben recht ungerührt zu.Wolfgang Priester aber hat seinen Laden aufmerksam im Blick. "Der Wolfgang passt auf die Frauen auf", sagt eine Dame um die 50, die öfters alleine ins Pulverfass kommt. Wenn sich einer daneben benimmt, dann komplimentiert Priester denjenigen recht schnell nach draußen. Priester, der Gentleman, macht das so diskret, dass es die Gäste meist gar nicht mitbekommen. Bevor die ersten merken, dass Priester nicht mehr an den Plattentellern steht, ist er schon wieder oben auf seinem Podest, klatscht in die Hände, schwingt mit den Hüften und blickt lachend über die Lesebrille hinweg auf die Tanzfläche. So mag er es am liebsten. "Hier oben knackt das Leben", sagt der DJ mit dem Einstecktuch.

Um fünf Uhr morgens, wenn die Musik ausgeht, steht Wolfgang Priester vor seinem Laden und dirigiert seine Gäste in die wartenden Taxen. Er stellt Fahrgemeinschaften zusammen, je nach Himmelsrichtung. "Das spart den Leuten Geld." Auch das gehört zum Service. Priester mag seine Gäste einfach.

Er mag die jungen Leute. Er mag seine alten Stammgäste. Und am liebsten mag er es, wenn sie alle bei ihm tanzen.