Weihnachtsglosse
Alle Jahre wieder
24. Dezember 2017, 7:00 Uhr aktualisiert am 24. Dezember 2017, 7:00 Uhr
Bunte Geschenke, funkelnde Lichter und eine große Flasche Eierlikör: Kein Wunder, dass die ganze Familie glückselig und voll Freude strahlend um den Weihnachtsbaum sitzt und "Oh du fröhliche" singt. Heiligabend ist schließlich das Fest der Liebe.
Klar, was sollte an einem solch besinnlichen Tag schief gehen? Die Geschenke haben wir ja alle rechtzeitig besorgt. Also spätestens am Vormittag vor der Bescherung. Vor Aldi und Lidl rennen wir gegen verschlossene Türen und reiben uns den schmerzenden Kopf. Stimmt, ja, Heiligabend ist ja heuer ein Sonntag. Macht nichts, wofür gibt es Tankstellen. Nichts ist romantischer als ein gut durchdachtes Geschenk in abgewetzter Geschenkpapierfolie.
Apropos Folie. Warum nicht den geliebten Falschparkern in der Nachbarschaft eine schöne Überraschung machen? Schließlich ist ja Weihnachten, der Feiertag der Nächstenliebe. Da kaufen wir doch glatt an der Tanke um die Ecke, wenn wir schon einmal da sind, eine große Packung Frischhaltefolie, klauen an einer der Baustellen auf dem Weg zurück ein bisschen Absperrband und voilà: in kürzester Zeit ist das Auto, das seit Tagen die Kreuzung blockiert, im Namen des Christkinds liebevoll eingepackt. Kurz noch im Internet ein paar bunte Bildchen bestellt und an den Wagen geklebt. "Kannste so parken, ist halt scheiße" steht auf der originellen Weihnachtskarte, an der jeder Falschparker seine wahre Freude haben wird, wenn er von der Christmette zurückkommt. Beschweren braucht er sich aber nicht, denn die Botschaft, die Stuttgarter Anwohner diese Woche schon an diverse Autofahrer übermittelt haben, kommt ganz direkt vom Weihnachtsmann - oder hierzulande halt vom Christkind.
Die Zeit, in der die Nachbarn übrigens vorbildlich früher in die Kirche fahren, damit sie, wenn sie einmal im Jahr in die Messe gehen, wenigstens einen guten Platz ergattern, kann man seelenruhig dafür nutzen, um in Sachen Weihnachtsdekoration etwas aufzuholen. Höher, schneller, weiter: Wer hat die meisten Lichter, bei wem sehen die an die Hauswand projizierten 3D Schneemänner am spektakulärsten aus? Wessen Balkon kracht unter der pompösen Lichterlast als Erster auf die Straße? Der Fantasie sind da keine Grenzen gesetzt, und über Geschmack lässt sich bekanntlich ja streiten. Dank der neuesten LED-Lichter muss sich unsereins auch gar keine Sorgen mehr um den Energieverbrauch machen. Total Öko also.
Hängt erst einmal die ganze Weihnachtsbeleuchtung, kann es richtig losgehen. Während es draußen überall wie verrückt blinkt und funkelt, halten wir uns im Haus vornehm zurück, nur ein bisschen Glitter hier, ein bisschen Lametta da und Hundert glänzende Weihnachtskugeln an unserem zierlichen Christbaum im Wohnzimmer. Ist das nicht herrlich, wie alles leuchtet und glänzt? Da vergisst man schnell, dass es überall nach angebrannten Plätzchen riecht und die Kinder bei der vorweihnachtlichen Rauferei beinahe den ganzen Baum zu Fall gebracht haben.
Ach, wie friedlich ist es doch zur Bescherungszeit, wenn die kleinen Racker inmitten von raschelndem Geschenkpapier sich gegenseitig liebevoll zur Seite schubsen und seelig strahlend ihre Schätze auspacken. Dann ist wirklich das Fest der Nächstenliebe, wenn der Onkel auf die undankbaren Flüchtlinge schimpft und dass man doch nicht jeden aufnehmen kann, während im Hintergrund ganz klein ein schwaches Lichtlein zur Geburt des Christkindes über seiner Krippe im Stall von Bethlehem flimmert. Dann ist wirklich Heiligabend, wenn Tante Gertrud nach dem sechsten Eierlikör auf dem Sessel neben dem Tannenbaum im Rhythmus von "Stille Nacht, heilige Nacht" ihr Weihnachtsschnarchkonzert gibt. Und am Ende des Abends ist klar, dass wir auch im nächsten Jahr wieder echte Weihnachtskugeln kaufen werden, wenn die Katze auf der Spitze des Christbaums thront und mit einem Satz den Baum umstürzt, der unter lautem Geklirr direkt auf die schnarchende Tante Gertrud stürzt. Eine schöne Bescherung!